Todesmarsch
ihnen nach.
»Dein Mädchen, Jan, liebt sie dich?«
»Ich glaube ja.«
McVries schüttelte langsam den Kopf. »Weißt du was? Dieser ganze romantische Bockmist, der ist wahr. Jedenfalls kann er für manche Leute für eine kurze Zeit wahr sein. Für mich war das so. Ich hab' einmal genauso gefühlt wie du, Ray.« Er sah Garraty an. »Willst du immer noch etwas über die Narbe wissen?«
»Ja.«
»Warum?« Er sah zwar Garraty fragend an, aber seine Augen schienen eher seine eigenen Motive erforschen zu wollen.
»Ich möchte dir helfen«, antwortete Garraty.
McVries blickte auf seinen linken Fuß hinunter. »Tut weh. Kann nicht mehr richtig mit den Zehen wackeln. Mein Hals ist ganz steif, und meine Nieren schmerzen. Und mein Mädchen hat sich als ganz gemeines Biest herausgestellt. Ich habe mich auf diesen beschissenen Marsch eingelassen wie die Männer früher auf die Fremdenlegion. Oder, um es mit den Worten der großen Rock-'n'-Roll-Poeten auszudrücken: Ich verlor mein Herz, sie trieb ihren Scherz, wen kümmert der Schmerz.«
Garraty sagte nichts. Es war 10.30 Uhr, und Freeport war noch weit, weit weg.
»Sie hieß Priscilla«, fuhr McVries fort. »Du hältst dich für romantisch? Ich sage dir, ich hatte den Kitsch erfunden, mit den zweiten Vornamen hieß ich >Lauschige Mondnacht<. Ich hab' ihr die Fingerspitzen geküßt und bin sogar so weit gegangen, ihr hinter dem Haus ihrer Eltern Keats vorzulesen, wenn der Wind richtig stand. Ihr Vater hat nämlich Kühe gehalten, und der Gestank von Kuhfladen verträgt sich, um es milde auszudrücken, nicht besonders mit Keats. Vielleicht hätte ich ihr Swinburne vorlesen sollen, wenn der Wind auf uns wehte.« McVries lachte.
»Du verrätst deine Gefühle«, sagte Garraty.
»He, du bist derjenige, der sich hier etwas vormacht, Ray. Du denkst doch bloß an die große Romanze, aber nicht an die vielen Male, die du allein nach Hause gegangen bist und dich selbst befriedigt hast, nachdem du ihr Liebesworte in die rosa Ohrmuschel geflüstert hattest.«
»Du machst dir auf deine Weise etwas vor, ich auf meine.«
McVries schien ihn nicht gehört zu haben. »Diese Dinge -es lohnt sich kaum, darüber zu reden«, sagte er nachdenklieh. »J. D. Salinger... John Knowels... James Kirk-wood... Sogar dieser Kerl, dieser Don Bredes - sie haben einem die Zeit des Heranwachsens gründlich verdorben, Garraty. Als Sechzehnjähriger kannst du heutzutage nicht mehr über die Qualen der Jugendliebe reden, ohne dich gleich wie ein geiler Ron Howard mit steifem Schwanz anzuhören.«
McVries lachte ein bißchen hysterisch, und Garraty hatte keine Ahnung, wovon er redete. Er war sich seiner Liebe zu Jan sicher, daran gab es überhaupt keine Zweifel. Ihre Füße schlurften über den Asphalt, und Garraty spürte, daß sein rechter Absatz wackelte. Bald würden die Nägel sich lösen, und er würde ihn wie eine alte Schlangenhaut abstreifen. Hinter ihnen bekam Scramm plötzlich einen Hustenkrampf. Es war der Marsch, der ihm auf der Seele lag, nicht die Qualen der romantischen Jugendliebe.
»Aber das hat ja nichts mit der Geschichte zu tun«, sagte McVries, als ob er seine Gedanken gelesen hätte. »Zur Narbe. Es war im letzten Sommer. Wir wollten beide von zu Hause weg, weg von den Eltern und dem Kuhgestank, damit die große Romanze endlich so richtig aufblühen konnte. Wir hatten beide einen Job in einer Pyjamafabrik in New Jersey gefunden. Wie findest du das, Garraty, in einer Pyjamafabrik in New Jersey?
Wir fanden auch getrennte Wohnungen in Newark. Prächtige Stadt, dieses Newark. An bestimmten Tagen stank es dort nach den gesammelten Kuhfladen von 1 New Jersey. Unsere Eltern haben sich zuerst ein bißchen dagegen gesperrt, aber bei getrennten Wohnungen und guten Sommerjobs haben sie sich nicht allzu doll angestellt. Ich wohnte mit zwei weiteren Typen zusammen, Pris mit drei anderen Mädchen. Wir fuhren am dritten Juli mit meinem Wagen lo* und hielten einmal gegen drei Uhr nachmittags in einem Motel, um das Problem der Jungfernschaft loszuwerden. Ich habe mich dabei wie ein Idiot gefühlt. Sie hatte keine rechte Lust, aber sie wollte mir einen Gefallen tun. Es war im Shady Nooit-Motel, und als wir fertig waren, spülte ich den Pariser in der Shady Noofc-Toilette hinunter und mir selbst den Mund mit Wasser aus einem Shady Nook- Pappbecher aus. Es war alles sehr romantisch, einfach himmlisch.
Dann weiter nach Newark, die Kuhfladen riechen und sich ganz sicher sein, daß es diesmal ein
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