Todesmarsch
immer dasselbe. Wieviel diese verdiente und wieviel jene und vor allem wieviel sie selber anschaffte. Und das war nicht wenig. So fand ich also heraus, was für ein Spaß es ist, mit dem Mädchen zu konkurrieren, das man heiraten will. Ich kam am Wochenende mit einem Scheck über 64,40 Dollar nach Hause und schmierte mir dicke Salbe auf die Blasen an meinen Händen. Sie verdiente um die neunzig Dollar die Woche und brachte sie aufs Konto, so schnell sie zur Bank rennen konnte. Und als ich ihr vorschlug, irgendwohin zu gehen und getrennt zu bezahlen, machte sie ein Gesicht, als hätte ich ihr einen Ritualmord vorgeschlagen.
Nach einer Weile hörte ich auf, mit ihr zu schlafen. Ich würde gern sagen, wir hörten auf, miteinander ins Bett zu gehen, das klingt netter, aber wir hatten kein Bett, in das wir gehen konnten. In meiner Bude lungerten immer so an die sechzehn Jungen herum und tranken Bier, und auch in ihrer Wohnung waren immer Leute zu Besuch - das sagte sie jedenfalls. Noch ein Motelzimmer konnte ich mir einfach nicht leisten, und ich wollte dort bestimmt keine getrennte Bezahlung vorschlagen; also blieb es beim Autokino. Ich merkte, daß es sie langsam anekelte. Weil ich das wußte und weil ich anfing, sie zu hassen, obwohl ich sie immer noch liebte, fragte ich sie, ob sie mich heiraten wolle. Gleich dort. Sie wand sich hin und her und versuchte, mich vom Thema abzubringen, aber ich zwang sie, es mir klipp und klar zu sagen, ja oder nein.«
»Und sie sagte nein?«
»Natürlich hat sie nein gesagt. >Pete, wir können es uns noch nicht leisten. Was würde meine Mutter dazu sagen? Wir müssen noch warten, Pete.< Pete dies und Pete das, und im Grunde ging's die ganze Zeit bloß um ihr Geld, das sie mit dem Knopfannähen verdiente.«
»Na, es war ja auch verdammt unfair von dir, sie so zu fragen.«
»Klar war es unfair«, rief McVries aufgebracht. »Das wußte ich. Ich wollte, daß sie sich wie eine geldgierige, selbstsüchtige Ziege fühlte, weil sie mir das Gefühl gab, ein Versager zu sein.«
Seine Hand wanderte zur Narbe hoch.
»Sie hatte es gar nicht nötig, mir dieses Gefühl zu geben, ich war tatsächlich ein Versager. Ich hatte nichts, das für mich sprach, abgesehen von meinem Ding, das ich in sie hineinstecken konnte, und sie ließ mir nicht einmal dieses Gefühl der Männlichkeit, indem sie es mir versagte.«
Hinter ihnen donnerten die Gewehre los.
»Olson?« fragte McVries.
»Nein, er ist immer noch hinten.«
»Oh...«
»Die Narbe«, ermahnte Garraty ihn nochmals.
»Ach, warum läßt du mich nicht in Ruhe?«
»Du hast mir das Leben gerettet.«
»Scheiße.«
»Die Narbe.«
»Ich habe mich mit den anderen geschlagen«, fuhr McVries nach langer Pause fort. »Vor allem mit Ralf, dem Kerl an der Sortiermaschine. Er hat mir zwei blaue Augen verpaßt und mir klargemacht, daß er mir auch noch beide Arme brechen würde, wenn ich nicht endlich verschwände. Ich gab also auf, und am gleichen Abend erzählte ich Pris, daß ich gekündigt hätte. Sie konnte ja selbst sehen, wie sie mich zugerichtet hatten. Sie sagte, es sei vermutlich das beste. Ich erzählte ihr, daß ich jetzt nach Hause fahren würde, und fragte, ob sie mitkommen wolle. Sie antwortete, sie könne nicht. Da schrie ich sie an, sie sei doch bloß eine Sklavin ihrer dämlichen Knöpfe und ich wünschte, daß ich sie nie im Leben gesehen hätte. Ich war so voll Gift, Garraty, daß ich sie eine Idiotin nannte, eine blöde Ziege, die nichts anderes im Kopf hätte als ihr blödes Sparbuch, das sie immer in der Handtasche mit sich herumtrug. Es war nicht fair, aber ein Körnchen Wahrheit war wohl doch daran. Genug. Wir waren in ihrem Zimmer. Es war überhaupt das erste Mal, daß ich dort war, denn ihre Freundinnen waren ausgegangen. Ins Kino, wie sie behauptete. Ich versuchte, mit ihr ins Bett zu gehen, und da hat sie mir mit ihrem Brieföffner die Wange aufgeschlitzt. Es war ein Scherzbrieföffner, den ihr eine Freundin aus England geschickt hatte. Er hatte einen aufgemalten Paddingtonbär am Griff. Sie hat mir das Gesicht aufgeschnitten, als ob ich versucht hätte, sie zu vergewaltigen. Als wäre ich ein Virus, der sie infiziert hätte! Kannst du dir das vorstellen, Ray?«
»Ja, ich verstehe, was du meinst«, antwortete Garraty. Weiter vorn wurde ein weißer Kombiwagen mit der Aufschrift WHGH NACHRICHTENTEAM von der Straße geholt. Als sie näher kamen, fing ein Mann mit beginnender Glatze in einem eleganten Anzug an, sie mit einer
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