Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Lohmeier aus Hanau, Sozialpädagogikstudent im Fachbereich 4. Alexander generierte sich eine E-Mail-Adresse, die mit Lohmeiers fast identisch war, beantragte eine neue Zugangskennung und entschuldigte sich im Rechenzentrum vielmals für die Umstände, die er verursachte. Niemand wurde misstrauisch. Sollte jemals eine Überprüfung stattfinden, so wäre man höchst alarmiert über die zahlreichen Besuche illegaler Pornobörsen in Thailand, Südamerika und der Russischen Föderation – ausgerechnet von einem angehenden Sozialpädagogen. Für Alexander Bertram jedoch waren diese Seiten die beste Möglichkeit, den Markt zu analysieren und nach interessanten Gesuchen Ausschau zu halten. Besonders US-Amerikaner nutzten die Zugänge über Server in Fernost recht stark, in Deutschland wurden genau diese Kanäle wegen der Kinderpornographie ziemlich gut überwacht. Niemals würde Alexander von zu Hause aus auch nur annähernd in diese Richtung surfen.
Er schlenderte auf die runde Glasfassade der Mensa zu, eine blonde, ausgesprochen hübsche Studentin mit einer Tasche unter dem Arm eilte an ihm vorbei, ihre Haare bewegten sich im Takt der Schritte. Vor dem roten AStA-Haus stand eine kleine Menschentraube rauchend um eine Musikanlage geschart, zu ihren Füßen aalten sich zwei Hunde. Bertram hatte sich längst dazu entschlossen, die erste Vorlesung nicht zu besuchen. Zwischen zehn und zwölf Uhr war seine Zeit viel zu kostbar: Es war die einzige Gelegenheit, einen Chatroom zu erwischen, in dem zahlungsfreudige Kunden von Los Angeles bis Las Vegas zu nachtschlafender Zeit vor ihren Monitoren saßen, gierig nach der Befriedigung ihrer perversen Gelüste.
Und Alexander Bertram wusste diese zu bedienen.
Dienstag, 9.58 Uhr
J ulia Durant erreichte das Präsidium völlig außer Atem, war jedoch noch gut in der Zeit, dafür, dass sie nach einer viel zu kurzen Nacht ihren Wecker überhört hatte. Erleichtert hatte sie beim Verlassen des Hauses zur Kenntnis genommen, dass die versprochene Abkühlung nun endlich einzutreten schien, es war gut und gerne fünf Grad kühler als zur gleichen Zeit am Vortag. Hält den Kater in Grenzen, dachte sie, als die durch ihren schnellen Gang angeregte Blutzirkulation die Schläfen pochen ließ.
Der Abend bei Alina war wunderbar gewesen, einfach schön, und sie hatten sich beide gefragt, warum sie das nicht viel eher gemacht hatten. Nach dem Gespräch, das Julia so schwer im Magen gelegen hatte und das sie in einem öffentlichen Café niemals in dieser Form geführt hätte, verweilten sie eine halbe Ewigkeit schweigend auf der Couch; aneinandergeschmiegt, mit einem Mal wieder vertraut und losgelöst von Alltagssorgen. Irgendwann war Alina aufgestanden, hatte eine CD von den Scorpions eingelegt und eine zweite Flasche Wein entkorkt. Sie begannen, sich über Frankreich zu unterhalten, über Susannes Domizil und darüber, was in dem vergangenen Jahr so alles passiert war. Immer wieder gab es lange Phasen des Schweigens, einmal hatte Alina kurz geweint. Julia hatte sich daran erinnert, was Frank Hellmer im Vorjahr herausgefunden hatte: Seit ihrer Ankunft in Frankfurt war es dieser attraktiven und sympathischen Frau nicht gelungen, sich ein soziales Netzwerk zu schaffen. Es gab neben Julia Durant keinen einzigen Menschen, den Alina Cornelius als Freund bezeichnen konnte. Sie hatte während Julias Abwesenheit mehr als nur eine Nacht in verzweifelter Einsamkeit verbracht.
Irgendwann in tiefster Nacht, es dürfte gegen halb drei gewesen sein, hatte Julia sich schließlich verabschiedet und war mit einem Taxi nach Hause gefahren. Völliger Blödsinn, wie sie fand, weil ihre Wohnungen kaum einen Kilometer auseinanderlagen. Doch Alina hatte darauf bestanden. Auf der Quittung stand 03:42 Uhr, darunter der stolze Fahrpreis von 6.25 Euro. Ein teurer Spaß, einerseits, aber für Julia war es der seit Wochen, wenn nicht sogar seit Monaten schönste Abend gewesen. Sie hatten nicht miteinander geschlafen, es hatte sich trotz vieler sanfter, zärtlicher Berührungen einfach nicht ergeben. Ob Alina es sich gewünscht hätte, konnte Julia nicht einmal beurteilen. Sie hatte keinerlei Initiative ergriffen, möglicherweise aber nur aus Rücksicht. Vielleicht hatte sie gespürt, dass Julia sich nach Nähe sehnte und doch noch nicht dazu bereit war, sich körperlichen Lüsten hinzugeben. Julia schluckte. Sollte das nun für immer so bleiben? Nun, zumindest vorerst, dachte sie weiter, denn solange Alina als ihre
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