Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Psychologin fungierte, war ein intimer Kontakt wohl unmöglich.
Bevor Julia weiter darüber sinnieren konnte, wurde sie jäh aus ihren Gedanken gerissen. »Mensch, Frau Kollegin, auch schon hier?«, ulkte Hellmer, den sie nicht hatte kommen sehen. »Dachte schon, dass Berger dich nach Buxtehude versetzt hat.«
Julia Durant rang sich ein schmales Lächeln ab. »Nicht ganz, Frank, aber lass uns da nachher drüber reden. Ist eine lange Geschichte.«
»Okay«, nickte Hellmer und deutete auf seinen Porsche. »Wollen wir gleich los, oder musst du noch mal hoch?«
»Wohin denn los?«, fragte Julia, die sich ein weiteres Mal überfahren fühlte. Seitdem sie gestern Nachmittag das Präsidium verlassen hatte, war sie über keinerlei Ermittlungsergebnisse informiert worden.
»Ah, okay«, winkte Hellmer ab. »Ich sehe schon, wir gönnen uns erst noch ein Käffchen vor der Tapete. Na, du wirst Augen machen!«
Super, fängt ja toll an, dachte Julia zerknirscht.
Die Tapete, so der Jargon unter den Kollegen, war die breite Betonwand des Konferenzzimmers. Ergänzend zu den Flipchartboards und der großen, weißen Tafel, hingen hier bei umfassenden Ermittlungen unzählige Papiere und Poster, meist in langen Bahnen von einer dicken Druckpapierrolle abgeschnitten, die für diese Zwecke bereitstand. Irgendwann hatte sich der Begriff auch für Zeiten, in denen die Betonwand nicht beklebt war, festgesetzt.
Schweigend folgte Julia Durant ihrem Kollegen ins Gebäude hinein und anschließend zum Aufzug. Als Hellmer den Knopf gedrückt hatte und ihr einen freundlichen Blick zuwarf, sagte sie: »Hör mal, wir müssen da was bequatschen, bevor ich gleich den ganzen Verein vor der Nase habe.«
»Klar«, nickte Hellmer. »Geht um gestern, wie?«
»Allerdings. Berger hat mir klipp und klar gesagt, dass ich ohne Gutachten keinen Fall bekomme.«
Ein elektronischer Gong ertönte, dann glitt die Fahrstuhltür auf.
»Bitte«, bedeutete Hellmer mit einer Geste, und Julia trat als Erste ein. »Und jetzt?«, fügte er hinzu, als er ebenfalls in die Kabine stieg und den Finger über das Tastenfeld kreisen ließ.
»Ich habe ihm, denke ich, einen ganz guten Deal vorgeschlagen. Alina wird ihm ein Fax schicken, worin sie meine Behandlung bestätigt. Das dürfte die Chefetage wohl beruhigen, zumindest geht Berger davon aus … na ja, und ich natürlich auch.«
Ungläubig zog Hellmer die Augenbrauen hoch und musterte Julia.
»Du mogelst dich da jetzt aber nicht nur auf dem Papier durch, oder?«
»Wieso?«, gab Julia spitz zurück. »Habe ich ja gar nicht vor. Aber schon interessant, dass du wohl auch meinst, ich sei reif für die Klapse!«
»Nein, so war das nicht gemeint«, sagte Hellmer in versöhnlichem Ton. Doch Julia blieb kühl.
»Wie denn dann?«
»Na, immerhin wäre das doch Betrug!« Verzweifelt ruderten seine Arme bei den nächsten Worten: »Stell dir mal vor, wir hätten einen echt großen Fall, irgendwann käme dann aber raus, dass die leitende Ermittlerin beim Gutachten geschummelt hat. Dann hagelt es plötzlich Freisprüche, und du bist die längste Zeit Kommissarin gewesen.«
»Keine Angst, ich lege mich schon brav auf die Couch«, sagte Julia beschwichtigend. »Mir ging es nur darum, dass ich jetzt endlich mal als ermittelnde Beamtin loslegen darf. Leitung hin oder her.«
»Kannst du«, nickte Hellmer, der sich wieder etwas entspannt hatte.
»Ach, und noch was«, sagte Julia gerade in dem Moment, als die Kabine ruckend anhielt. »Du hast gesagt, ich solle mir vorstellen, dass wir einen großen Fall hätten.«
»Ja, und?«
Mit rügendem Blick antwortete sie: »Wir haben einen großen Fall.«
Ohne Umwege begaben sie sich in den Konferenzraum, dessen Breitseite tatsächlich mit vier Papierbahnen behängt war. Julia Durant näherte sich und las die vier Namen und Kurzprofile:
Adriana Riva, 22
Italienerin
in WG mit Johnson und Mason
Goethe-Uni, Soziologie, 2. Semester
hat Wohnung im Februar 2008 mit Mason bezogen
laut eigener Aussage keine Erinnerung an den Verlauf des Abends nach Mitternacht
bestätigte Aussage von Alexander Bertram (verließ Party frühzeitig)
DNA-Spuren (Vaginalsekret) am Laken des Opfers
Haare von Opfer in eigenem Zimmer (Boden und Sofa)
Hinweise auf kürzlich erfolgten Geschlechtsverkehr
Notruf ging von ihr ein, danach Schockzustand und in BGU behandelt
Helena Johnson, 25
doppelte Staatsbürgerschaft dt. (Vater)/US (Mutter)
in WG mit Mason und Riva seit Sommersemester 2008
Goethe-Uni,
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