Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
»Oder er stammt, weil er mit Sperma überdeckt ist, von einem weiteren Dreier. Das ist doch gar nicht so weit hergeholt, wenn die ›Bild‹ von einer Orgie spricht. Du weißt ja, dass Koks sich steigernd auf die Libido auswirkt, zumindest, wenn man sich noch nicht an einen regelmäßigen Konsum gewöhnt hat. Lass uns mal annehmen, dass auch die Riva sich mit den anderen vergnügt hat, das schließt ja ihren Schockzustand am nächsten Morgen überhaupt nicht aus. Bei Johnson übrigens auch nicht.«
Hellmer schien die Argumente gegeneinander abzuwägen, ließ dabei den Kopf von einer Seite zur anderen fallen.
»Ja, okay, aber so ganz überzeugt bin ich noch nicht. Denn wenn sich alle so dermaßen zugedröhnt haben, wie uns die Screenings ja zeigten, wer hat dann Jennifers Kehle durchgeschnitten? Und vor allem warum?«
»Das beschäftigt mich auch«, gab Julia zu, »ist ja auch nur eine erste Theorie. Aber nimm zum Beispiel mal Taubert. Was, wenn er sich nach dem Dreier über Jennifer hermachte und danach realisierte, dass sie ihn nüchtern wohl niemals rangelassen hätte? In seinem Drogenwahn wäre doch die einfachste Logik, sie zu beseitigen. Man darf nicht vergessen, dass keiner von den vieren mehr in der Lage war, rational zu denken.«
»Mord als Vertuschung? Ich weiß nicht.«
»Ja, klingt unlogisch, kommt aber weiß Gott oft genug vor. Passt auch vielleicht nicht unbedingt zu Taubert, aber könntest du denn genau sagen, was einem Bekifften in so einer Situation im Kopf herumgeht?«
Hellmer faltete die Hände und vergrub nachdenklich den Kopf dahinter. Dann wandte er sich zur Tapete und ließ den Blick über die beiden männlichen Beteiligten wandern, zuerst Taubert, dann Simmons. Julia versuchte verzweifelt, die Gedanken ihres Kollegen nachzuvollziehen, es gelang ihr aber nicht. Dann endlich drehte Hellmer sich wieder zu ihr und funkelte sie an. »Ich hab’s! Glaube ich zumindest.«
»Na, dann schieß mal los«, forderte Julia ihn ungeduldig auf.
»Ist ja gut, bin schon dabei. Noch mal zur Reihenfolge in Jennifers Bett: Die könnte ja auch andersherum gewesen sein, also erst Taubert und vielleicht noch Riva und dann die anderen, richtig?«
»Ja, ist denkbar«, nickte Julia.
»Gut, dann stell dir weiter vor, einer von Simmons’ Format, also ein Mann wie ein Bär, lässt sich so richtig gehen. Erst mit der eigenen Freundin, dann mit Jennifer. Oder auch gleichzeitig, das spielt keine Rolle. Irgendwann realisiert er, dass die Kleine unter ihm völlig wehrlos ist, dass es eben kein flotter Dreier war, sondern nichts weiter als eine handfeste Vergewaltigung. Als Amerikaner ist man da wohl etwas sensibler als hier, Koks hin oder her, denn in den USA drohen bei Vergewaltigung weitaus höhere Strafen. Jedenfalls überkommt Simmons in einer wachen Minute die nackte Angst, er schnappt sich ein Messer und schlitzt Jennifer die Kehle auf.«
Hellmer musterte Julia fragend, doch noch wollte die Kommissarin ihm kein überzeugtes Nicken schenken.
»Das Motiv, wenn man es so nennen mag, ist damit quasi dasselbe wie bei Tauber«, schloss Hellmer seine Ausführungen.
»Für mich beinahe schon eine Affekthandlung«, kommentierte Julia. »Täter bekommt Angst, Täter tötet Opfer.«
»Ja, nur dass dieser Tauber wohl eher ein Hippie ist«, gab Hellmer mit erhobenem Zeigefinger zu bedenken. »Er ist nicht so auf Gewalt gedrillt wie zum Beispiel Simmons, der bei der Army immerhin das Töten gelernt hat.«
»Mag sein«, sagte Julia, »dafür war der Leidensdruck bei Taubert höher. Stell dir mal vor, wie es für ihn gewesen sein muss, als er Simmons und Jennifer zusammen sah. Ausgerechnet Simmons, der zudem bereits eine Freundin hat.«
»Ja, aber wäre er dann nicht eher auf ihn losgegangen?«
»Gegenfrage: Hast du die beiden mal nebeneinander gesehen?« Julia deutete auf die Fotos über den Postern. »Das ist ja beinahe wie David gegen Goliath, oder?«
»Auch wieder wahr«, schmunzelte Hellmer. »Wie auch immer wir es drehen und wenden, eines ist sicher. Die Party ist an irgendeinem Zeitpunkt nach zweiundzwanzig Uhr ausgeartet, und zwar auf Kosten von Jennifer Mason. Und irgendeiner der vier Beteiligten hat ihr die Kehle durchgeschnitten, das ist genau so sicher wie die Tatsache, dass mindestens einer der beiden Kerle sie brutal vergewaltigt hat.«
»Stimme so weit zu«, kommentierte Julia. »Dann lass uns mal in die JVA fahren und unsere Theorie mit Adriana Riva besprechen, oder?«
»Jawohl, Chefin«, sagte
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