Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Hellmer und sprang auf. »Denn bei der Riva haben wir gleich mehrere Vorteile.«
»Und die wären?« Auch Julia erhob sich, kippte den restlichen Kaffee mit einem Zug und stellte die beiden Becher ineinander.
»Erstens wirkt Adriana Riva nur halb so abgebrüht wie Helena Johnson. Zudem hat sie keinen GI zum Freund, hinter den sie sich stellen kann, und wie man so hört, steht auch keine Armada von Mafia-Anwälten bereit, um sie rauszupauken. Ist wohl eine recht einfache Familie, der Vater soll zwar unterwegs sein nach Deutschland, aber aufgetaucht ist noch niemand.«
»Mir kommen gleich die Tränen«, sagte Julia knapp. Provinzschönheit hin oder her: Adriana Riva hatte in ihren eigenen vier Wänden ein grausames Verbrechen zugelassen. Doch Julia Durant vertraute in diesem Fall auf die deutsche Rechtsprechung, wenngleich sie nicht immer mit ihr einverstanden war. Käme es zu einem entsprechenden Urteil, so stünden die Chancen gut, dass die Unterlassung einer Tatvereitelung ebenso hart bestraft werden würde wie die Tat selbst.
Kühl und ohne eine Spur von Mitgefühl beschloss Julia Durant, dass sie alles auf sich nehmen wollte, was der Fall von ihr verlangte. Seien es nun psychologische Sitzungen oder durchgearbeitete Nächte. Adriana Riva, Helena Johnson, Gregor Taubert und John Simmons sollten den Tod Jennifer Masons in höchstmöglichem Ausmaß büßen.
Zwei Jahre später
Montag
Montag, 19. Juli 2010, 8.37 Uhr
J ulia Durant ließ den Blick durch das ihr wohlbekannte Büro wandern, in dem sie in den vergangenen Jahren wohl beinahe so häufig gesessen hatte wie an ihrem eigenen Schreibtisch. Es gab kaum persönliche Einrichtungsgegenstände, nur einfache Regale voller Fachbücher und schmucklose Wände, an denen neben dem obligatorischen Foto-Kalender der Sparkasse lediglich eine rahmenlos verglaste Luftaufnahme des alten Polizeipräsidiums in der Mainzer Landstraße, aufgenommen irgendwann in den siebziger Jahren, hing. Ein mannshoher Ficus elastica rechts neben dem schlichten, aber wuchtigen Schreibtisch ließ seine breiten Blätter schlaff herabbaumeln. Der Gummibaum schien unter der drückenden Hitze genauso zu leiden wie die hier arbeitenden Menschen. Der Schreibtisch war das letzte Relikt aus den längst vergangenen Tagen der Wache im Frankfurter Westend, die seit nunmehr acht Jahren leer stand. Bis vor knapp zwei Jahren hatte sogar noch der dazugehörige alte Ledersessel hinter dem Schreibtisch gethront, doch dieser hatte schließlich Platz machen müssen für einen orthopädischen Stuhl.
Wo wir gerade bei Relikten sind, dachte Julia mit einem schmalen Lächeln. Ihr Kopf war zur Seite geneigt, die Haare hatte sie zu einem kurzen Zopf zusammengebunden, der ihr den Nacken freihielt. Ein Segen in dieser Hitze, wenn einem nicht den ganzen Tag über die verschwitzte Mähne im Nacken hing. Zwischen Julias Ohr und Schulter klemmte der Telefonhörer, ihre Finger spielten mit dem langen, spiralförmigen Telefonkabel. Am anderen Ende der Leitung schwieg sich ihr Gesprächspartner mal wieder aus.
»Wissen Sie«, sprach es endlich, und die Stimme klang müde, wenn nicht sogar resigniert, »es sind jetzt erst einmal die vier Wochen. Alles Weitere zeigt sich dann.«
Julia schluckte. Vor zwei Wochen, mitten in der spannenden Phase der Fußball-Weltmeisterschaft, hatte Berger einen derart üblen Bandscheibenvorfall erlitten, dass er sich drei Tage lang nicht rühren konnte. Hoch dosierte Schmerzmittel und ein heftiges Muskelrelaxans hatten ihren Chef wie weggetreten erscheinen lassen, als sie ihn in der Klinik besuchte. Bergers Rückenprobleme waren nicht unerwartet aufgetreten, schon damals, nach ihrer Rückkehr aus Südfrankreich, hatte er sich damit gequält. Bei einem Mann seines Formats, er hatte den größten Teil seines Lebens weit über hundert Kilo gewogen und schob noch immer einen mächtigen Bauch vor sich her, waren Probleme mit der Wirbelsäule ja auch absehbar gewesen. Aber weitere vier Wochen, mit ungewissem Ausgang …
»Ach Mensch, so schlimm?« Julia konnte den Unmut in ihrer Stimme kaum verbergen.
»Na ja«, sagte Berger zynisch, »aus einem alten Gaul macht man halt kein Rennpferd mehr.«
Alarmiert zuckte Julia zusammen. Da war etwas im Tonfall ihres Chefs, das ihr überhaupt nicht gefiel.
»Moment, Ihr Arzt hat aber doch gesagt, dass er Sie wieder hinbekommt, oder?«
»Ja, beruhigen Sie sich mal.« Bergers Stimme klang wieder versöhnlich. »Ich habe noch ein paar Jährchen und werde
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