Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
seinem Stuhl. Danach fuhr er sich über die verschwitzte Stirn und stöhnte. Julia überlegte fieberhaft, was sie nun sagen sollte, denn es schien keine richtige Antwort auf die Frage zu geben, die im Raum stand. Hellmer war älter, und zwar in jeder Hinsicht. Mehr Dienstjahre, mehr Lebensalter, wenn auch von beidem nicht viel mehr, doch in der Gunst Bergers lag er eben nur auf dem zweiten Platz hinter Durant. Das wusste jeder, war aber bisher nie ein Problem gewesen.
»Lass dir eines gesagt sein«, setzte Julia an. »Ich habe mich da weder drauf beworben noch mich darum gerissen, das sollte dir eigentlich klar sein. Du erinnerst dich, wie schwierig es vor zwei Jahren für mich war, wieder zurück auf die Straße zu kommen, oder?«
»Schon«, gestand Hellmer ein, setzte dann jedoch nach: »Aber das war damals. Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass du dich in deinem neuen Reich hier unwohl fühlst.«
»Jetzt mach mal halblang, Frank!« Julia schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Willst du mir unterstellen, ich mache hier einen auf dicke Hose? Das glaub ich ja wohl nicht!«
»Ach scheiße«, beschwerte sich ihr Gegenüber, »ich sag besser gar nichts mehr.« Er winkte ab, überschlug die Beine und verschränkte die Arme. Er macht also dicht, dachte Julia. Wenigstens blieb er sitzen.
»Hör mal«, begann sie versöhnlich. »Ich hatte einen guten Lauf in den letzten Monaten, zugegeben. Aber das war doch meistens unser Ding, verstehst du, unser gemeinsames! Ich hatte nie einen besseren Partner und will, sobald es geht, wieder zu ihm zurück. Und das nicht nur, weil du so ne tolle Klimaanlage in deiner Kiste hast«, ergänzte sie mit einem schelmischen Lächeln.
Doch Hellmer war offenbar noch nicht bereit, die Sache aus der Welt zu räumen. Flapsig entgegnete er nur: »Tja, da wirst du dich wohl entscheiden müssen. Sabine ist nämlich eine tolle Partnerin und weiß meine Vorzüge durchaus zu schätzen.«
Julia schluckte. Ob nun mit Absicht oder nicht – sie wusste ja, dass Hellmer durchaus mal gerne ins Fettnäpfchen trat –, hatte dieser Kommentar sie getroffen. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, klopfte es laut an der Tür.
»Ja bitte?«, rief sie gereizt. Die Tür schwang auf, und Doris Seidel betrat das Büro. In ihrer Hand hielt sie einen Laufordner aus brauner Pappe, und wie immer wirkte die schlanke, durchtrainierte Blondine frisch und ausgeruht. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass sie im vierten Monat schwanger war.
»Guten Morgen, ihr beiden.« Mit einem knappen Lächeln nickte sie Hellmer zu, wandte sich dann aber zielstrebig an Julia. »Ich habe hier eine neue Meldung im Fall Stiegler, du erinnerst dich?«
Sie reichte Julia die Akte, und die Kommissarin blätterte sie kurz durch. Es waren bislang nicht mehr als vier Seiten, auf der ersten klebte ein Foto und standen eine Kurzbeschreibung sowie weitere personenbezogene Daten wie Adresse und Handynummer, hinzu kamen die gefaxte Kopie einer Vermisstenanzeige und das Protokoll der Anzeigenaufnahme. Außerdem waren noch einige Notizen beigefügt. Carlo Stiegler, achtundzwanzig Jahre alt, Jurastudent an der Goethe-Universität, wohin er von der Philipps-Universität in Marburg gewechselt hatte. Das achte Semester war gerade abgeschlossen, das erste Staatsexamen stand unmittelbar bevor. Auf dem Foto, was laut seiner Mutter drei Jahre alt war, sah man einen breitschultrigen Mann mit dunklen, brav zur Seite gekämmten Haaren und einer Brille mit dunklen Rändern. Kein typischer Fünfundzwanzigjähriger, wie Julia fand, angeblich hatte der junge Mann sein Erscheinungsbild bis heute nicht maßgeblich verändert. Über Hobbys hatte die Mutter nicht viel zu berichten gewusst, sie habe ihren Jungen nicht oft gesehen. Aber vergangenen Donnerstag seien sie verabredet gewesen, sie wollten gemeinsam essen gehen, doch Carlo sei nicht erschienen. Dabei habe er sie niemals versetzt oder lange warten lassen. Vierundzwanzig Stunden später, freitags, am 16. Juli um 16.25 Uhr, hatte das 18. Polizeirevier in Bergen-Enkheim die Vermisstenanzeige aufgenommen.
Julia schloss den Aktendeckel wieder und nickte. »Ja, jetzt weiß ich’s wieder. Das war am Freitag kurz vor Feierabend. Gibt es da was Neues?«
»Allerdings. Die Notrufzentrale hat einen Anruf bekommen, dass wir den Vermissten im Osthafen finden könnten.«
»Wie, einen Anruf?« Ungläubig runzelte Julia die Stirn.
»Na, einen anonymen Hinweis oder so, keine Ahnung. Ganz früh heute Morgen
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