Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
weiteten sich, er fing sich aber sofort wieder.
»Hätt ich mir denken können«, knurrte er.
»Warum?«, fragte Kullmer, betont unbedarft.
»Na, weil hier keiner mittags reinkommt, einfach mal so, der so rausgeputzt aussieht.«
»Wieso, weil ich nicht untersetzt und bierbäuchig bin? Ich dachte, das wäre ein Gerücht. Bei den Umsätzen der Pornoindustrie jedenfalls sollte man das meinen.«
»Wie auch immer.«
»Kommen keine Kunden aus den schicken Büros und so?«
»Schon, aber die lassen sich erst abends hier blicken.«
»Was ist mit jungen Leuten? Studenten?«
»Wird das hier jetzt ne Fragestunde?«
Offensichtlich genervt, zog der Mann einen Tabakbeutel hervor, entnahm ihm Filter und Papier und begann gemächlich, sich eine Zigarette zu drehen.
»Ich frage bestimmt nicht aus privatem Vergnügen«, kommentierte Kullmer. Er entfaltete das Foto von Carlo Stiegler und schob es über die stumpfe Oberfläche des Tresens, auf dem sich zahlreiche runde, klebrige Abdrücke befanden. Vermutlich schwingt er im Laufe des Tages von Energydrink auf Dosenbier um, dachte Kullmer.
»Wir suchen Informationen über diesen jungen Mann, ein Student, der hier vielleicht Kunde war.«
Er ließ sein Gegenüber nicht eine Sekunde unbeobachtet, hoffte auf ein verräterisches Signal, ein Zucken, ein Zwinkern, doch der Blick blieb gelangweilt. Die einzige Reaktion bestand in einem Schulterzucken.
»Kann sein, weiß nicht.«
»Können Sie denn seinen Namen im Kundenverzeichnis überprüfen?«
»Ja.«
»Gut, dann tippen Sie mal ein: Carlo Stiegler. Carlo mit C, Stiegler wie der Stieglitz.«
Doch Kullmer bezweifelte, dass der schmierige Typ vor ihm wusste, dass es einen solchen Vogel überhaupt gab. Vielleicht gab es ja in Unterliederbach eine Stieglitzstraße oder einen Distelfinkplatz, dachte er amüsiert, während er dem langsamen Tippen lauschte. Ein weiterer Grund, noch einmal hinzufahren.
»Kein Stiegler hier drinnen.«
»Mist«, entfuhr es Kullmer, dann aber kam ihm eine Idee. »Was ist mit Bertram? Alexander Bertram.«
Wieder unerträglich langsames Tippen, dann endlich: »Nö, auch nicht.«
»Okay, danke trotzdem«, sagte Kullmer und packte das Foto wieder ein. »Gibt es hier noch weitere Angestellte?«
»Ich hab ne Aushilfe für die Tagschichten«, nickte der Mann, »die ist aber krank. Ansonsten bin immer ich da, lohnt sich sonst nicht.«
Kullmer begann zu verstehen. »Ach so, dann sind Sie hier der Chef?«
»Jap. Mir gehört die Bude.«
»Da habe ich Sie falsch eingeschätzt«, gestand der Kommissar. »Ich habe Sie für einen Angestellten gehalten.«
Er zögerte kurz, wollte den Ausdruck wieder hervorziehen, entschied sich dann aber anders. »Können Sie mir den Namen Ihrer Aushilfe verraten? Ich würde sie gerne ebenfalls befragen.«
»Ja, ich such’s raus. Moment.«
»Und Ihren Namen hätte ich auch gerne.«
»Steht doch draußen angeschrieben, was haben Sie dort denn die ganze Zeit gemacht? Der Kleinen auf die Möpse geschaut?«
Kullmer erinnerte sich. Irgendwo hatte eine Notiz auf den Inhaber hingewiesen, darunter die Telefonnummer, er hatte sie aber nicht beachtet.
»Wenn ich es wüsste …«, begann er, leicht gereizt.
»Lukas Wandraschek. Man nennt mich Luke.«
»Okay, Herr Wandraschek, dann nur noch die Daten Ihrer Angestellten. Hat sie sich krankgemeldet oder so?«
»Oder so.«
Mit diesen Worten schob Luke einen Notizzettel mit der Anschrift seiner Aushilfe über den Tresen, bereits auf den ersten Blick fiel Kullmer auf, dass er »Strase« mit nur einem S geschrieben hatte. Evelyn Krause, las er weiter. Die Adresse lag in Bornheim, eine Telefonnummer war ebenfalls vermerkt.
»Danke«, sagte Kullmer. »Gleich können Sie Ihren Fernseher wieder laut drehen. Was schauen Sie da eigentlich?«
»Gesichter des Todes.«
Kullmer erinnerte sich, darüber gelesen zu haben. In dem berüchtigten Film, der bereits Ende der siebziger Jahre gedreht worden war, waren echte Gewalt- und Todesszenen zu sehen, ein Schocker, der nach wie vor in vielen Ländern auf dem Index stand oder sogar verboten war.
»Verstehe. So gesehen auch ne Form von Hardcore, richtig?«
Wandraschek verzog keine Miene, glotzte Kullmer nur an. Der Kommissar vermochte nicht zu sagen, ober er über eine Antwort nachdachte oder nicht, aber schließlich zuckte sein Gegenüber mit den Schultern und starrte wieder auf den Fernseher.
»Kann ja nicht den ganzen Tag die Bumserei laufen lassen. Da verblödest du ja irgendwann von, das
Weitere Kostenlose Bücher