Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
geht gar nicht.«
Sicher, dachte Kullmer und verkniff sich ein ironisches Lächeln, das dürfen wir auf keinen Fall riskieren.
Mittwoch, 15.47 Uhr
D er Boden des Konferenzzimmers glänzte, und die Tische standen fein säuberlich zu einem riesigen Sechseck zusammengeschoben in der Mitte des Raumes. Vermutlich hatte am Vorabend eine wichtige Versammlung stattgefunden, ein Arbeitskreis vielleicht, jedenfalls hatte irgendwer aus dem Präsidium irgendwen beeindrucken wollen. Der Raum verfügte über eine elektrische Leinwand, vier Meter breit und drei Meter hoch, die man aus der Deckenkassette hinablassen konnte, ein paar Meter entfernt hing ein Videobeamer. Die Anschlüsse erreichte man bequem über einen entsprechenden Port am Boden, von wo aus die Kabel versteckt weiterliefen. Ein riesiger, unnötiger Aufwand, wie Julia Durant bei ihrem ersten Rundgang durch das neue Präsidium kommentiert hatte, aber eigentlich auch ganz nützlich, wie sie mittlerweile eingestand.
Sie saßen zu fünft zusammen, hatten einen Durchgang in die Tischformation geschoben, so dass zwei nach innen gehen konnten. Doris saß rechts neben Julia, ihr gegenüber Peter, neben ihm Sabine und ihr wiederum gegenüber Hellmer. Die Szene hatte etwas Verschwörerisches. Nach einem kurzen Austausch über die Sackgasse in der Uni – Hellmer und Kaufmann hatten zwar einen von Carlo Stieglers Professoren getroffen, aber nichts Brauchbares in Erfahrung bringen können –, hatten sie über iTex24 debattiert und spekulierten nun, welcher Art die Verbindung zwischen Alexander Bertram und Carlo Stiegler gewesen sein könnte. Dazu notierte Doris auf einen leeren Papierbogen zwei Spalten, über die sie zuerst C. Stiegler und dann A. Bertram schrieb. Darunter vermerkte sie einige Daten:
28 Jahre
Uni, Jura
Riederwald (vorher Marburg)
wohnt bei Mutter (verwitwet, einfache Verhältnisse)
26 Jahre
FH, Informatik, Abschluss Sommer 2009
Anstellung bei iTex24, Webhosting und Softwareentwicklung (Nibelungenplatz, gegenüber FH)
Unterliederbach
wohnt im Elternhaus (Familie wohlhabend, Mutter krank)
»Eher dürftig, oder?«, fragte sie in die Runde. »Außer dem Geschlecht und dem Alter gibt es da nicht viel.«
»Höchstens die schwache Mutterfigur«, feixte Hellmer. »Vielleicht sollten wir Alina hinzuziehen.«
»Bleib mal auf dem Teppich«, lachte Julia und stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite. »Vielleicht sollten wir zunächst einmal alle Unterschiede ausklammern und danach sehen, was uns dazu einfällt.«
»Okay, wer schreibt mit?«, fragte Hellmer.
»Bin doch eh dabei«, sagte Doris und beugte sich nach vorne, um ihm einen strengen Blick zuzuwerfen.
»Gut«, begann Julia Durant. »Dann betrachten wir mal das Mordopfer. Carlo Stiegler ist etwas älter als Bertram, hat aber noch studiert. Das kann auch allein am Fach gelegen haben, Jura dauert schließlich ne Weile. Er ist zu seiner Mutter gezogen, hat seinen Studienstandort von Marburg nach Frankfurt verlegt. Wann genau war das?«
»Moment.« Sabine blätterte eifrig in ihren Unterlagen. »Ah, hier ist es. Er ist eingeschrieben seit dem Sommersemester 2008. Dürfte also spätestens März 2008 gewesen sein.«
»Passt ja«, dachte Hellmer laut. »Zu diesem Zeitpunkt waren auch Riva und Mason schon hier.«
»Ja, mag sein. Aber weiter im Text. Carlo kommt hier in Frankfurt an, kniet sich laut Mutter voll ins Studium, hat nirgends verdächtige Materialien, keine Freundin, eine mögliche Homosexualität hat Frau Stiegler vehement bestritten. Besuch von diesem Unbekannten bekam er aber schon recht früh, oder?«
»Wobei weder das eine noch das andere etwas heißen muss«, gab Kullmer zu bedenken.
Julia nickte. »Allerdings wäre das ohnehin keine Verbindung zu Bertram. Irre ich mich, oder hegte der damals nicht Gefühle für Jennifer Mason?«
Murmeln, Schulterzucken, dann nickte Kullmer. »Es hatte zumindest den Anschein.«
»Wäre ja eigentlich Grund genug, den damals Inhaftierten mal auf die Pelle zu rücken«, grübelte Julia laut.
»Ich weiß nicht.« Doris wippte den Kopf hin und her. »Das stelle ich mir wenig erfolgversprechend vor. Schau mal, Simmons und Taubert beteuerten jeweils ihr Unwissen und schoben es auf ihren Erinnerungsverlust. Das klassische Gefangenendilemma, ihr wisst schon, bei zwei Verdächtigen rechnet es sich am meisten, wenn jeder dichthält.«
»Na, das ist aber eine recht großzügige Interpretation, oder?«, lachte Hellmer. »Rechnerisch gesehen wäre es besser
Weitere Kostenlose Bücher