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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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Moment die Taschenlampe hier«, bat sie, »ich komme dann in ein paar Minuten nach.«
    »Möchtest du nicht, daß wir zusammen zurückgehen?« fragte Sharon und erhielt ein Nein zur Antwort. Daraufhin ließ sie die Lampe in Anns Hand gleiten, umarmte die Freundin und flüsterte ihr ins Ohr: »Du bist sehr wichtig für mich!«
    »Brauchst du mich?« wollte Ann wissen.
    Sharon ließ sie los. »Ja«, erwiderte sie schlicht.
    »Das ist gut«, sagte Ann.
    Sharon ließ sie allein, und Ann wartete, bevor sie ein Stück weg war, bevor sie sich umdrehte. Sie zählte die Sekunden, lauschte auf ihre Herzschläge und den Wind. Sie versuchte, die Zeit zwischen Jerrys Tod und dem Moment auszurechnen, in dem er den Schuß ausgelöst hatte.
    Außerdem mußte Sharon sich in sicherer Entfernung befinden, bevor sie sprang. Sicher dauerte es eine Weile, im Dunkeln und auf unebenem Gelände die halbe Strecke bis zum Lagerfeuer zu laufen. Ann wollte, daß Sharon mindestens den halben Weg zurückgelegt hätte, denn sie mußte vorsichtig sein. Schon war von Sharon nichts mehr zu sehen.
    Nach einer Minute kauerte sich Ann neben den Busch und ließ für den Bruchteil einer Sekunde die Taschenlampe aufleuchten. Das genügte, um das versteckte Seil zu finden. Sie zog das Ende aus dem Gestrüpp und spürte das kalte Metall des Hakens in ihrer Handfläche. Sie ertastete auch das aufgerollte zweite Seil, mit dem sie sich die letzten paar Meter bis zum Fluß hinunterlassen würde, und warf dann die Taschenlampe über den Klippenrand.
    Der Wind blies kräftig genau in Richtung des Feuers, und das war sowohl gut als auch schlecht. Wenn sie schrie, würde ihre Stimme weit tragen, so daß die Freunde sie auch hören würden – auf der anderen Seite konnte der starke Wind sie während des Falls seitlich gegen den Felsen drücken. Sie durfte also nicht riskieren, gerade abwärts zu springen, sondern mußte den Wind ausgleichen, indem sie vor dem Absprung Anlauf nahm.
    Ann hob ihre Jacke im Rücken leicht an und befestigte den Haken des Seilendes an einem Ring zwischen ihren Schulterblättern, dort, wo sich die Riemen des Fanggurts kreuzten. Möglicherweise würden beim jähen Abbremsen am Ende ihres Falls sowohl ihre Jacke als auch ihr Sweatshirt in Fetzen gerissen werden, aber das war im Moment die geringste ihrer Sorgen. Vielleicht hatte sie schon zu lange gebraucht, um das Seil zu finden und zu befestigen, denn es war absolut wichtig, daß man Sharon vom Feuer aus noch nicht sehen konnte, wenn sie schrie.
    Und worauf warte ich dann noch? Ich sollte schreien… Jetzt sofort!
    Doch sie ließ noch ein paar Sekunden verstreichen. Der Grund dafür war ganz simpel: Sie hatte Angst, sogar mehr Angst als an jenem Abend, an dem sie spät in ein seltsam stilles Haus zurückgekehrt war und befremdet den schwachen Geruch von Pulver und trocknendem Blut wahrgenommen hatte. Sie war in den Flur und zum Zimmer ihres Bruders geschlichen und hatte leise Jerrys Namen gerufen. Während sie auf seine Antwort wartete, hatte ein namenloser Schrecken von ihr Besitz ergriffen, der mit jeder verstreichenden Sekunde größer geworden war. Bis sie ihn sah – da hatte es einen Moment der Erleichterung gegeben.
    Doch dann hatte sie Jerry wirklich gesehen und begonnen, in sich zusammenzufallen, obwohl sie zu ihm gelaufen war.
    Dieses Bild stärkte ihre Entschlossenheit und gab ihr die nötige Courage. Damals, an jenem Abend, hatte sie zum erstenmal die Erfahrung gemacht, wie es war, in tiefe Dunkelheit zu stürzen – heute würde sie es zum zweitenmal tun!
    Wo war Sharon? Ann konnte sie nicht sehen, aber sie sah die andern als verschwommene Silhouetten gegen das Feuer.
    Fred wandte den Kopf in ihre Richtung – und vielleicht auch in Sharons!
    »Tu’s nicht!« rief Ann, und damit drehte sie sich um und lief los. Und dann sprang sie, den ganzen Weg über schreiend, ins Nichts.
    So empfand sie es zuerst: Um sie herum war das Nichts. Sie konnte ihren Körper nicht spüren, hörte nicht das Geräusch des Windes, konnte nichts erkennen. Dieser Zustand dauerte vielleicht zwei Sekunden, aber es waren lange Sekunden!
    Dann war plötzlich ein Donnern in ihren Ohren, und eine schwarze Landschaft drehte sich um sie. Für einen Moment traf der Eindruck unglaublicher Geschwindigkeit sie bis ins Mark. Sie sah viel mehr, als sie begreifen konnte, und ihr Geist hatte Mühe, mit der äußeren Geschwindigkeit Schritt zu halten.
    Da war der Fluß, der auf sie zuschoß wie die Fontäne eines

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