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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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unterbrechen, denn weiter oben war jemand dabei, sich an ihrem Seil zu schaffen zu machen – und sie fühlte, daß es nicht der Wind sein konnte. Es mußte Paul sein, der versuchte, den Haken aus der Wand zu ziehen. Oder versuchte er gleich, das Seil durchzuschneiden?
    Was stimmt nicht mit ihm? Merkt er nicht, daß das Seil noch gespannt ist?
    Mit ihrer unverletzten linken Hand nahm sie das zweite, zusammengerollte Seil und befestigte den Haken an dem Ring des Fanggurts in ihrem Rücken. Das war leichter, als sie angenommen hatte, nur war durch den Ruck die Stelle, wo die beiden Gurte sich kreuzten, nach rechts hochgerutscht und saß jetzt unter ihrer Schulter statt in der Mitte des Rückens. Sie konnte nicht genau ausmachen, ob ihre Jacke und ihr Sweatshirt sehr beschädigt waren, denn es war immer noch dunkel. Aber sie hingen irgendwo zwischen Schulter und Nacken.
    Aber das war nicht wichtig – nichts war wichtig jetzt, wo ihr rechter Arm gebrochen war. Denn um sich mit Hilfe des zweiten Seils die restlichen zwölf Meter hinunterzulassen, mußte sie zuerst den Verschluß des ersten an ihrem Fanggurt lösen. Dazu hatte sie sich mit einer Hand ein Stück hochziehen wollen, während sie mit der anderen den Haken löste.
    Nur war das jetzt völlig unmöglich. Sie konnte ihre rechte Hand nicht einmal ansatzweise bewegen, geschweige denn mit ihr im Stockdunklen einen komplizierten Griff ausführen!
    Seit ihrem Sprung waren schon Minuten vergangen, und noch immer hing sie nicht still. Langsam schwang sie hin und her, zuerst genau über dem Wasser, um am Scheitelpunkt ihrer Bahn über den eiskalten, harten Felsen zu schweben. Die eisige Gischt, die aus der Strömung aufsprühte, berührte das warme Blut, das ihr noch immer über das Gesicht lief, und sie mußte dagegen ankämpfen, sich zu übergeben.
    Weiter oben nahm jemand das Seil mit festem Griff und begann, es heftig zu schütteln. Es gab keinen Zweifel daran, was geschah!
    Aber… Paul! Ich bin noch nicht unten!
    Sie war im Begriff, losgeschnitten zu werden!

 
    6. Kapitel
     
     
     
    Der Schrei hatte Sharon zuerst denken lassen, daß Ann von einem der Berglöwen angegriffen würde, von denen Chad gesprochen hatte. Und trotz der Möglichkeit, daß sich eine dieser wilden Bestien in der Nähe befinden könnte, zögerte Sharon nicht eine Sekunde, ihrer Freundin zu Hilfe zu eilen. Doch das Fehlen einer Taschenlampe ließ sie nur sehr langsam vorankommen.
    Nachdem sie auf dem Hacken kehrtgemacht hatte und etwa zehn Meter auf die Klippe zu gerannt war, stieß sie mit dem Schienbein gegen einen Geröllblock und fiel der Länge nach hin. Vor Schmerz stöhnend raffte sie sich wieder hoch, und genau in diesem Moment hörten Anns Schreie auf – jedoch nicht abrupt, sondern sie verhallten auf eine Weise, die Sharon sich nicht erklären konnte. Jedenfalls ließ die nachfolgende Stille sie erschauern. Sie bewegte sich vorwärts, so rasch sie eben konnte, wobei sie ihren Weg mit ausgestreckten Händen erfühlte – es war so dunkel!
    Sharon hatte Glück, daß sie nicht in den Abgrund stürzte: Es war ein Busch, der sie zum Stehen brachte. Sie erinnerte sich, ihn ein paar Minuten zuvor gesehen zu haben, als sie die Taschenlampe eingeschaltet hatte und sich mit Ann unterhielt. Mit ihrem verletzten Schienbein berührte sie einen Zweig dieses Busches und blieb wie angewurzelt stehen. Nach Atem ringend suchte sie mit ihren Blicken das Gelände ab und hielt ihr Haar mit der Hand fest, damit der Wind es ihr nicht ins Gesicht blies.
    »Ann!« rief sie. »Ann, Ann!«
    Aber da war nichts, nur die Dunkelheit der Nacht um sie. In diesem Augenblick schlich sich der schreckliche Verdacht in ihr Herz, ein Gedanke, der so düster war, daß ihr die Dunkelheit dagegen wie heller Tag vorkam.
    Sie ist von der Klippe gesprungen!
    Sharon fiel auf die Knie und kroch bis zum Rand, aber ein Blick hinunter zeigte ihr nur schwarze Leere.
    »Ann, Ann, Ann!«
    Sie schrie es wieder und wieder und schloß irgendwann die Augen, aus Angst vor dem, was sie vielleicht gesehen hätte, wenn es heller gewesen wäre.
    Als sie einen Moment später die Augen wieder öffnete, hockten Paul und Fred an ihrer Seite. Chad stand neben ihnen, eine Taschenlampe in der Hand.
    »Was ist passiert?« fragte Paul.
    »Ich weiß nicht!« murmelte sie.
    Paul faßte sie an den Schultern. »Wo ist Ann?«
    »Sie ist fort«, sagte sie kläglich und deutete schwach auf den Abgrund.
    »Ich sehe sie nicht«, meinte Chad verständnislos.

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