Todesmuster
Außerdem sollten wir nicht außer Acht lassen, dass unser Opfer vielleicht gar nicht vermisst gemeldet wurde.« Ich-bin-pfiffig-Grimasse. Ist richtig. Vier Augenpaare mit Erwartung. 17.40 auf dem Telefondisplay.
»Warum hat der den Tatort so verlassen?« Rebecca sucht mit dem Finger die letzten Krümel vom Teller.
»Klassische Antwort: Er ist gestört worden.«
»Auch möglich, dass er noch vorhatte, die Tür zu verschließen, später, aber durch irgendwas verhindert worden ist, beruflich oder familiär.« Edda.
»Und jetzt ist es zu spät für ihn.«
Stille in der Runde, alle verdauen.
»Ihr habt morgen mit euren Spuren noch genug zu tun, was haltet ihr da von folgender Idee? Wir haben wenig. Ich glaube, der Täter kommt aus dem näheren Umfeld, deshalb machen wir eine ganz harte, offensive Pressearbeit, speziell für den hiesigen Bereich. Vielleicht haben wir jemanden, der was weiß oder gesehen hat, sich aber nicht traut. Also richtig auf die Sahne hauen, ans moralische Gewissen appellieren. Hier kennt doch jeder jeden, die wissen doch bestimmt mehr.«
»Die Resonanz könnte unsere personellen Ressourcen überfordern.« Ernst, fast beiläufig.
»Ist mir klar, könnte sein. Aber als Versuch …« Keine Einwände, zögerlich.
»Dann machen wir das so. Ich habe hier schon eine Presseerklärung vorbereitet, die verteilen wir gleich, und dann warten wir mal morgen ab.« Wortloses Nicken. 17.55. Was muss noch mit? Die Akte noch.
»Ich bin sicher noch einige Stunden hier. Wir sehen uns morgen früh um acht.« Allgemeiner Aufbruch.
In der Aula die ersten beiden Reihen besetzt, noch keine Fernsehkameras. Sehr gut. Die brauchen wir jetzt noch nicht.
22 Uhr 50
Im Nacken sitzt eine Tigerkralle, einmal recken. Einige Sterne schaffen es durch das Spiegelbild in der Fensterscheibe. Die Augen brennen. Einen Kaffee noch und dann nach Hause.
Der Flur ist dunkel, aus Ullas Büro fällt ein Lichtstreifen scharfkantig aufs PVC. Ganz sacht die Tür auf, Ulla blinzelt. Die Schreibtischlampe zeichnet einen Schattenstrich über ihre Nase.
»Kein Zuhause oder was?«
Sie lehnt sich zurück, faltet die Hände hinter dem Kopf.
»Mein Mann würde mich zur Zeit eh nicht erkennen.«
»Warum, bisschen wenig daheim?«
»Das auch, und weil ich wahrscheinlich aussehe wie Inge Meysel.«
»Ganz so schlimm ist es noch nicht. Und was macht dein Taximörder? Was Neues?«
»Scheiße«, sie winkt ab, lehnt sich wieder nach vorn, »wir haben keine wirklich gute Spur. Typischer Taximord. Aus der Innenstadt mit ’nem Fahrgast in die Walachei gefahren und dort aufgefunden worden. Von hinten die Kehle durchgeschnitten, aber keiner hat was gesehen. Wir rodeln und rodeln und machen jetzt schon mit großem Aufwand die weniger attraktiven Spuren. Der Täter muss übrigens ein Bruder von Schwarzenegger sein oder so was Ähnliches, der hat ihm nämlich den Hals mit einem Schnitt bis hinten an die Halswirbel durchtrennt.«
»Soll ich denn mal lieb zu dir sein und einen Kaffee mitbringen?«
»Kannst du vergessen, keiner mehr da. Petra muss Montag erst neuen besorgen.«
»Dann hole ich uns ein Tütchen von der Wache unten. Kaffee brauche ich jetzt, sonst penne ich sofort ein.«
Auf der Wache Hektik. Freitagabend. Egon am Funk. Der 12/24 braucht Unterstützung, Schlägerei im Birkenstübchen. Er grüßt nebenbei, fordert zum Warten auf. Die jungen Kollegen stürzen aus dem B-Raum durch die Schwingtür nach draußen. Vorm Tresen eine alte Frau mit Baskenmütze und Rolli.
»Und Sie sind sicher, er wollte Ihnen sein Geschlechtsteil zeigen?« Der Kollege ganz Interesse, perfekt gespielt.
»Ob er das wollte, weiß ich nicht, er hat es aber getan.«
»Vielleicht hat er Sie ja gar nicht gesehen, Sie standen ja hinter der Gardine.« Er sucht einen Ausweg.
»Der hat mich sehr wohl gesehen, ich habe ihn ja angesprochen.«
»Sie haben ihn angesprochen?«
»Natürlich habe ich ihn angesprochen, er solle nicht in meinen Vorgarten urinieren.«
»Ach, der hat uriniert?« Dankbare Erleichterung.
»Er hat uriniert! Eine Minute und 12 Sekunden hat der in meinen Vorgarten uriniert.«
»Das wissen Sie so genau?«
»In der Tat. Ich habe die Zeit genommen.«
»Liebe Frau …«
»… Scholz …«
»… liebe Frau Scholz. Wenn dieser Herr eine Minute und zwölf Sekunden uriniert hat, dann war das kurz vor einer Katastrophe.«
»Aber doch nicht in meinen Vorgarten.«
»Ich finde, dadurch haben Sie den Mann vor einer Explosion bewahrt.«
»Aber er hätte
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