Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
bist du erledigt.« Jo packte sie am Arm und deutete vorbei an den Jeffrey-Kiefern und Hartriegelsträuchern den Berg hinab. »Unterhalb der Mine ist ein Wanderweg. Er führt in Serpentinen durch die Schlucht und endet bei der Lichtung an der Forststraße, wo wir gestern auf euch gestoßen sind.«
»Da wollen wir doch sowieso hin, oder?«
»Ja. Der Wanderweg ist länger, wahrscheinlich brauchst du zwei Stunden. Ich weiß, dass du erschöpft bist. Aber wenn es zum Schlimmsten kommt, musst du es versuchen. Wenn du dort bist, kannst du warten. Die Polizei ist sicher bald da.«
Über Autumns Gesicht zog eine Welle aus Angst, Reue und Sehnsucht. »Nein.«
Jo schossen die Tränen in die Augen. Das konnte doch nicht Autumns Ernst sein. »Du kannst entkommen. Darum haben wir doch die ganze Zeit gekämpft!«
»Ich lasse meine Freunde nicht im Stich.«
Jo war klar, dass einen Faktor gab, den Autumn nicht bedacht hatte: Autumn war ihr letzter Trumpf. Wenn Haugen sie gefangen nahm, konnte sie sich höchstens damit freikaufen, dass sie ihm Autumn auslieferte. »Bist du dir sicher?«
»Vollkommen.«
Jo drückte ihr die Schulter. Autumn hatte doch Ähnlichkeit mit Tina, das wurde ihr jetzt klar.
Dann kletterten sie weiter. Durch die Bäume erspähte Jo Gabe und Lark. Sie befanden sich am Sockel des südlichen Strommasts. Bis dorthin hatten Jo und Autumn noch einen Weg von mehreren Minuten vor sich. Gabe bereitete schon alles für die Überquerung der Brücke vor.
Um zum gegenüberliegenden Strommast zu gelangen, mussten sie über einen schmalen, fast zweihundert Meter langen Steg balancieren, der sich in luftiger Höhe über die Schlucht spannte. Gabe stieg die wacklige Treppe hinauf und quetschte sich seitlich an einem Maschendrahtgatter vorbei, das Unbefugten den Zutritt zur Brücke versperren sollte. Jo sah, dass er zwei Seile dabeihatte und sich daranmachte, sie festzubinden. Wegen ihrer schlechten Augen war der Steg für Lark ohne Halt zu gefährlich, außerdem wollte er selbst nicht risikieren, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn er Noah trug. Sein Vorgehen war sicher vernünftig, kostete aber Zeit.
Schwer atmend mühten sich Jo und Autumn den Hang hinauf. Angst und Kälte lähmten ihre Schritte. Bald darauf rückten die Bäume zusammen und verstellten ihnen den Blick. Auf einmal empfand Jo den Geruch nach Kiefern und frischer Luft als widerlich. Sie hastete weiter, bis sich die Bäume lichteten und sie die Brücke wieder deutlich vor Augen hatte.
Lark war bereits an dem Maschendrahtgatter vorbeigeklettert und befand sich auf dem Steg. Gabe bereitete sich soeben darauf vor, ihr zu folgen. Mit einem Stück Plane aus der Sporttasche mit den Notvorräten hatte er eine Art Huckepackschlinge konstruiert. Noah war auf Gabes Rücken geschnallt und hielt sich mit den schwachen Kräften fest, über die er noch verfügte. Nun musste sich Gabe mit der Last auf dem Rücken an dem Gatter vorbeiwinden. Jo wurde plötzlich ganz schwindlig. Wenn Gabe abrutschte, stürzten die beiden in den sicheren Tod.
Dann erst bemerkte sie, dass er nicht ungesichert kletterte. Er hatte sich angeseilt: ein Ende an seinem Gürtel, das andere am Geländer des Stegs. Mit grimmigem Gesicht und angespannten Muskeln schob er sich um das Gatter herum.
Wie eine Stoffpuppe hing Noah in seiner Schlinge. Doch nachdem sie das Hindernis überwunden und die Brücke betreten hatten, konnte sich die Gruppe in Bewegung setzen. Lark ging voran und umklammerte die Geländer mit aller Kraft. Gabe band das Seil los und folgte ihr mit langsamen, wackligen Schritten.
Jo und Autumn waren inzwischen fast oben am Grat. Geduckt liefen sie durch die Bäume und verloren die Brücke abermals aus den Augen. Dann stolperte Jo um einen Felsbrocken und hatte wieder einen ungehinderten Blick. Am liebsten hätte sie laut gejubelt. Die drei auf der Brücke hatten bereits die Hälfte der Strecke bis zum Gatter auf der anderen Seite hinter sich.
Plötzlich kam fünfzig Meter über Jo Dane Haugen aus dem Wald geritten.
Er schlug dem Pferd die Hacken in die Seiten und trieb es den Hang hinauf zum Strommast. Schnell stieg er ab und lief die Treppe zur Brücke hinauf. Vor dem Maschendrahtgatter hielt er lächelnd an. Er hatte eine Waffe, und auch sie schien in der Morgensonne zu lächeln.
Der Revolver war auf Gabes Rücken gerichtet. Er spannte den Hahn, zielte durch das Gatter und feuerte.
58
Dröhnend hallte der Schuss aus Haugens Revolver durch die Berge.
Auf der Brücke
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