Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
Standort verraten würden. Wenn ihr warme Sachen zum Anziehen dabeihabt, holt sie. Zieht sie an, lasst sie geschlossen. Bleibt trocken.«
Jo machte einen Bogen um Friedrichs zerschundene Leiche, um zum Fahrerabteil der Limousine zu gelangen. Die Tür war offen und verbogen wie der gebrochene Flügel eines Vogels. Sie wand sich hinein. Das Innere des Wagens lag in grauem Schatten.
Vorsichtig tastete sie herum. Dann hörte sie Stimmen von hinten. Lark und Autumn waren hereingekrochen.
»Alles okay, Noah?«, fragte Autumn.
Er kippte die Hand hin und her. So lala. »Hatte schon mal bessere Tage.«
Larks Lippen wurden zu einem Strich. Sie schien den Tränen nah.
Jo rief nach hinten. »Alles in Ordnung bei euch?«
Lark schüttelte den Kopf. »Könnte ich nicht behaupten.« Dann fasste sie sich wieder. »Aber es kommt wieder in Ordnung, oder?«
»Das ist der Plan.«
Jo krabbelte durch das zerstörte Fahrerabteil und zuckte immer wieder vor Scherben und schartigen Metallstücken zurück. Sie durchwühlte Schrott und Schutt, bis sie schließlich ganz unten auf ihr Handy stieß. »Na endlich.«
Das Telefon war eingeschaltet und sah unbeschädigt aus. Sie staubte es ab.
Kein Signal. Sie waren zu tief in der Schlucht. Dann suchte sie weiter nach Gabes Handy, aber ohne Erfolg.
Autumn sah sich hinten im Fahrgastraum um. »Von unseren Sachen ist nichts mehr da. Sie haben uns alles abgenommen.«
»Was ist mit dem Kofferraum?«
Betroffenes Schweigen. »Aber …« Autumn schielte kurz zu Jo. Ihr Gesichtsausdruck flehte praktisch: Zwing mich nicht.
»Ich komme mit.«
Nachdem sie durch die verformte Tür wieder hinaus in den kühlen Abend geklettert war, stapfte Jo mit Autumn zur Rückseite des Hummer. Autumn öffnete den Riegel des Kofferraums. Er schnappte gut einen halben Meter auf. Äch zend schüttelte Autumn den Kopf. Sie war offensichtlich überfordert.
Die große Militärtasche war deutlich zu sehen. Durch den Sturz war die Leiche halb herausgerutscht. Erst jetzt nahm Jo die Kluft des Toten wahr: die schwarze Militärkleidung der Entführer. Die Haut des Toten war kreidebleich. Wie eine Pocke saß eine Schusswunde an der Schläfe.
»Wir müssen einfach die Zähne zusammenbeißen und alles an Ausrüstung rausholen, was da noch drin ist.« Jo war klar, dass sie ziemlich viel von Autumn verlangte. Aber sie hatten keine Zeit für Selbstmitleid. Sie durften nicht lockerlassen. Sie mussten sich zusammenreißen. Einige von ihnen mussten aus der Schlucht herausklettern, solange es noch hell war – und Von vielleicht durch sein Zielfernrohr auf sie anlegte. Es ging nicht anders. Ein Ausflug im Dunkeln war eine Anleitung zum Selbstmord.
Wimmernd griff Autumn in den Kofferraum und zog eine schwarze Sporttasche heraus. Schaudernd wankte sie zurück. Dann ließ sie die Tasche fallen und fing an, darin herumzukramen.
»Was …« Ihre Stimme klang zittrig. »Was ist …?« Ihre Brust hob und senkte sich. »Wie kommt das hierher?« Sie richtete sich auf, als wollte sie sich gleich auf jemanden stürzen. »Wer hat das getan?«
»Was getan?«
Autumn zerrte einen Cowboyhut und ein Lasso aus der Tasche. »Der Böse Cowboy. Das sind seine Sachen. Wie kommen die hierher?«
22
Zum zehnten Mal versuchte Evan, Jo zu erreichen. Und zum zehnten Mal hörte sie: Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht erreichbar.
Wie eine Raubkatze lief sie im Motelzimmer auf und ab. Sie hatte Jo per SMS den Text und ein Foto von Ruby Ratners Prospekt geschickt. Aber noch immer hatte sie keine Antwort erhalten.
Sparen Sie sich Arbeit – mieten Sie einen Cowboy!
Ruben Ratner war ein Handwerker und ein Tausendsassa. In seinem Flugblatt bot er an, Müll zur Deponie zu fahren, Partys zu organisieren und zu unschlagbar günstigen Preisen Reitstunden zu erteilen. Aber wie sie von Lilia Rodriguez wusste, hatte er weder einen Gewerbeschein noch Erfahrung darin, Nachwuchscowboys das Reiten durch die weiten Savannen beizubringen. Das war höchstens ein Wunschtraum seiner Mutter, ein hoffnungsvoller Funken in ihrem prärieumwölkten Auge.
Sie nahm sich den anderen Flyer vor: Mrs. Ratner, als singendes Cowgirl verkleidet. Evan konnte sich nicht vorstellen, dass die Frau auch nur für eine einzige Party engagiert worden war. Noch nie war ihr der Spruch Wir raten ab so zutreffend erschienen.
Allmählich wurde es dunkel. Es konnte eigentlich nicht sein, dass Jo noch immer nicht erreichbar war.
Vielleicht hatte es auch gar nichts zu bedeuten.
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