Todesmut - Gardiner, M: Todesmut - N.N. (Jo Beckett 4)
gesehen?«
»Mann, das ist doch der Grund, warum wir überhaupt hier sind: weil wir den Zaun gesehen haben. Ein Zeichen von Zivilisation. Tut mir leid, dass ich auf Ihrer Kuhwiese rumtrample, aber ein Freund von mir wurde angeschossen.«
Das Pferd des Ranchers machte einen Schritt zur Seite und warf den Kopf zurück. »Angeschossen?«
Kyle trat nach vorn. »Sir, ich entschuldige mich für Dustin hier. Er hat ein traumatisches Erlebnis hinter sich.« Er deutete auf das Logo von Edge Adventures auf seiner Mütze. »Ich arbeite für eine Firma, die Abenteuerausflüge ins Hinterland veranstaltet. Heute hatte ich eine Gruppe von Studenten dabei, und kurz gesagt, wir wurden entführt. Der Wagen liegt zerschmettert in einer Schlucht im Osten hinter dem Hügel, und mehrere Leute wurden verletzt. Wir brauchen Polizei und Rettungskräfte, und zwar in ausreichender Zahl.« Kyles Augen leuchteten hell und durchdringend. Mit den erhobenen Händen wirkte er wie ein Bittsteller. Dustin nickte zustimmend.
»Wenn Sie wollen, können Sie uns ja mit vorgehaltener Waffe zu Ihrem Telefon bringen. Meinetwegen kann uns Ihr Gaul in den Arsch treten. Verdammt, schicken Sie Edge Adventures eine Rechnung für Ihren Zeitaufwand. Hauptsache, Sie holen Hilfe, weil sonst heute Nacht ein paar Leute sterben.«
Der Rancher wirkte immer noch argwöhnisch, aber auch ein wenig betroffen. Er war Ende fünfzig mit einem runden, sonnenverbrannten Gesicht und einem ordentlichen Bauch, der von seinem Hang zu guten Steaks zeugte. Sein Blick wanderte von Kyle zu Dustin und wieder zurück.
Schließlich senkte er die Schrotflinte. »Mein Haus steht hinter der Baumgruppe dort am unteren Ende der Wiese. Von dort aus können wir den Sheriff und den Rettungsdienst anrufen.«
Er steckte die Waffe zurück in das Futteral am Sattel. Dann riss er das Pferd herum und gab ihm die Sporen.
Dustin lief ihm nach. Kyle folgte ihm dicht auf den Fersen.
26
»Halt in der zweiten Reihe«, sagte Tina.
Evan fuhr an die Seite. Sie waren am Russian Hill in einer ruhigen Wohngegend voller Mietsgebäude mit Erkerfenstern und viktorianischen Häusern in Ostereierfarben. Monterey-Kiefern leuchteten hellgrün im Sonnenuntergang. Ein CableCar bog um die Ecke und fuhr nach unten Richtung Fisherman’s Wharf. In einem kleinen Park spiel ten junge Männer Basketball und stritten lauthals mitei nander.
Tina hüpfte hinaus, schlängelte sich zwischen geparkten Autos hindurch und lief die Vordertreppe eines kleinen lehmziegelroten Hauses mit weißen Giebeln hinauf. Evan stellte die Warnblinker an und folgte ihr.
Das Eingangslicht war an. Tinas Schlüssel klirrte, als sie die Tür aufsperrte. »Jo?«
In der Diele stieß sie mit dem Fuß gegen einen Stapel Post, der durch den Schlitz gefallen war. Sie warf einen Blick ins Wohnzimmer und wandte sich zur Küche. »Jo?«
Das Haus war klein, aber fein. Evan mochte solche von der Straße zurückversetzten Domizile, von wo aus man die Welt betrachten konnte, ohne dass sie zurückstarrte.
Das kompakte Wohnzimmer strahlte etwas Weiträumiges aus. Moderne Möbel, ein Perserteppich auf geschliffenem Parkett, japanische Holztafeldrucke an den Wänden. Vergoldete Orchideen, Dekokissen in Rot, Orange und Weiß, eine Decke in der Farbe eines Glutofens.
Im Gang brannte ein Tischlämpchen. Alles machte den Eindruck, als wäre das Haus abgeschlossen worden, weil seine Besitzerin übers Wochenende verreist war.
Tina kam aus der Küche und lief die Treppe hinauf. Eine halbe Minute später hastete sie wieder herunter. »Sie ist nicht da.«
»Sie ist doch nicht allein weggefahren«, sagte Evan. »Würde ihr Freund …«
»Gabe.«
»Und er …«
»Er kann auf sich aufpassen. Er ist Rettungsspringer bei der Air National Guard. Und Jo kann auch auf sich aufpassen. Aber sie wollten zu dieser verlassenen Mine, und du sagst, du hast eine Verbindung zu einem Exhäftling gefunden …«
Evan stieß die Hände in die Gesäßtaschen. »Könnte sie sich sonst noch mit jemand in Verbindung gesetzt haben?«
»Vielleicht mit dem Nachbarn.« Tina schloss ab, und sie eilten die Stufen hinunter. »Ferd behält immer die Straße im Auge. Hauptsächlich, weil er in Jo verknallt ist und darauf hofft, sie zu treffen.« Sie zog ein Gesicht. »Oder er möchte, dass sie seine neuesten Wehwehchen diagnostiziert. Er ist ein ziemlicher Hypochonder.«
»War das ein Foto von Gabe in Jos Büro? Sah aus wie beim Campen im Yosemite Park.«
Tina trabte voran über den
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