Todesnacht: Thriller (German Edition)
Das Motorrad war seine große Liebe. Jedenfalls … An einem Sommerabend vor drei Jahren – es wird im Juni gewesen sein – war er wieder mal damit unterwegs. Terri auf dem Sozius, beide ohne Helm. Pike fuhr viel zu schnell um eine Kurve. Ein Lastwagen kam ihnen entgegen. Pike wollte noch ausweichen, kam ins Schleudern und raste haarscharf an einem Baum vorbei, aber Terri flog im hohen Bogen durch die Luft und prallte mit dem Kopf gegen den Stamm. Sie war auf der Stelle tot. Ich war damals als Erster am Unfallort, und ich kann Ihnen sagen … dieses wunderschöne Mädchen mit aufgeplatztem Schädel dort liegen zu sehen – überall Hirnmasse auf der Straße – und zu wissen, dass weder ich noch sonst jemand irgendetwas würde ändern können … also … Ich habe in meinem Leben selten etwas ähnlich Grauenhaftes gesehen. Und als ich später bei Donelda klingeln und ihr mitteilen musste, dass ihre Tochter tot war und ihr Mann, der im Hubschrauber auf dem Weg nach Bangor war, die Schuld daran trug, tja … Das war einer der schlimmsten Augenblicke meines Lebens. «
» Was ist aus Pike geworden? «
» Nun ja, ob es nun gut war oder nicht, jedenfalls verfehlte er den Baum und prallte gegen die Mauer dahinter. Erlitt eine schwere Wirbelsäulenverletzung und ist seitdem querschnittsgelähmt. Muss den Rest seiner Tage im Rollstuhl zubringen. Donelda hat seither eine Stinkwut auf Pike, und Pike hat eine Stinkwut auf die ganze Welt. Er gibt dem Lastwagenfahrer die Schuld. Den Ärzten. Sogar dem Baum und der Mauer. Gibt allem und jedem die Schuld, bloß sich selbst nicht. Aber die ganze traurige Wahrheit ist, dass diese ganze verdammte Geschichte einzig und allein seine Schuld ist. Donelda jedenfalls lässt keine Gelegenheit aus, um ihn daran zu erinnern. Und ich schätze, tief in seinem Innern weiß er auch, dass sie recht hat. Jedenfalls hatte er das Limit weit überschritten … «
» Zu schnell gefahren? Oder zu viel Alkohol? «
» Beides. Er hätte an dem Abend überhaupt nicht mehr fahren dürfen. Erst recht nicht mit seiner Tochter auf dem Sozius. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie dieser Mann sich fühlen muss. «
» Ist er dafür ins Gefängnis gekommen? «
Boucher schüttelte den Kopf. » Nein, aber eigentlich hätte er einfahren müssen … Der Richter hat ihn mit einer Bewährungsstrafe davonkommen lassen. Vermutlich wegen der Querschnittslähmung. Vielleicht hat er sich auch gedacht, dass der Mann durch die Schuld am Tod seiner Tochter schon ausreichend gestraft war. Ich kann Ihnen sagen, schon ein Kind zu verlieren ist eine fürchterliche Geschichte, selbst für einen geborenen Drecksack wie Pike Stoddard. Aber gleich zwei? Sie haben jedenfalls einen ziemlich scheußlichen Tag vor sich. «
» Wovon lebt die Familie? «
» Pike war vor dem Unfall Fischer, hauptsächlich Muscheln und Hummer. Mehr gibt es ja hier auch nicht mehr. Gelegentlich mal ein Fisch, wenn sich zufällig einer ins Netz verirrte. Er hat immer noch seinen Zehn-Meter-Kutter, die Katie Louise, benannt nach Pikes Mutter. Er war selbst Kapitän, aber seit er im Rollstuhl sitzt, muss er dafür Leute anheuern. Er bezahlt sie, wie die meisten Eigner, mit einem Anteil am Fang. Aber es gibt nicht mehr viele, die für ihn arbeiten wollen. Pike ist jähzornig. Jähzornig und misstrauisch. Beschuldigt seine Crewmitglieder ständig, dass sie ihm zu geringe Fangzahlen melden. Ihn um sein Geld betrügen. Darum kriegt er meistens nur den Abschaum ab – Typen, die sonst keiner beschäftigen will. Er verdient kaum genug, um seine Kredite zu bedienen. Donelda verdient ein paar Dollar dazu, gräbt Strandschnecken und Mückenlarven aus. Malt Bilder und verkauft sie an Touristen. Sucht sich im Winter alle möglichen Arbeiten, hauptsächlich bastelt sie Adventskränze. Ihr Leben ist echt hart. «
» Konnte Tiff mit dem Boot umgehen? «
Boucher zuckte mit den Schultern. » Sie ist praktisch darauf groß geworden. Würde mich überraschen, wenn sie sich nicht damit ausgekannt hätte. «
» Ist Pike schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen? Vor dem Unfall, meine ich. «
» Gelegentlich. Ein paarmal habe ich ihn höchstpersönlich aus der einen oder anderen Kneipe geholt. Meistens weil er betrunken war und Leute beleidigt oder ihnen Prügel angedroht hatte. Nach allem, was ich gehört habe, trinkt er immer noch ziemlich viel, aber in der Regel zu Hause und überwiegend allein. Jetzt da er im Rollstuhl sitzt, hat Donnie ihn, wo sie ihn haben will.
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