Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
Rechtsmediziner. »Jessicas E-Mail-Adresse gehört dann aber
wohl nicht zu ihrer Intimsphäre, oder?«
»Wieso?«
»Na ja,
Sie haben doch vorhin selbst eingeräumt, dass Ihnen dieses Kennwort bekannt ist,
oder habe ich da etwas falsch verstanden?«
»Nein, das
haben Sie nicht.« Verlegen schob Lukas die Hände in die Hosentaschen. »Ich weiß
es nur durch Zufall. Sie hat sich das Passwort irgendwann einmal notiert und dann
den Zettel auf ihrem Schreibtisch liegen lassen«, antwortete der junge Mann, dem
dieses Thema sichtlich unangenehm war. »Jessi weiß nicht, dass ich es kenne. Ich
konnte es mir deshalb so gut merken, weil es aus ihrem Vornamen und unserer Hausnummer
zusammengesetzt ist.« Entschuldigend zeigte er seine Handflächen. »Ich hab aber
vorher noch nie in ihre Mailbox reingeschaut, nicht ein einziges Mal. Das müssen
Sie mir glauben. Nur heute Morgen, weil ich mir solche Sorgen um sie mache.«
»Ach du
meine Güte, das gibt’s doch gar nicht«, stieß Tannenberg entgeistert aus, als das
E-Mail-Verzeichnis auf dem Flachbildschirm auftauchte.
»Matann
ist die Abkürzung für Marieke Tannenberg«, dechiffrierte Dr. Schönthaler die Mail-Adresse
des Absenders.
»Marieke
ist meine Nichte«, erläuterte der Kriminalbeamte.
»›Hast du
Lust, mit mir joggen zu gehen? Ich muss dringend mit dir quatschen. Scheißmänner!
Treffpunkt: Gelterswoog, 18 Uhr – okay?‹«, las der Rechtsmediziner laut vor. »Weiter
nichts?«
Lukas Schnellinger
schüttelte den Kopf.
»Keine weitere
Mail, die Sie zufällig gelöscht haben?«, hakte Dr. Schönthaler nach.
»Nein. Warum
hätte ich das tun sollen?«, kam es energisch zurück.
Erneut verschwand
Tannenberg im Flur. Vor dem Garderobenspiegel zückte er sein Handy und wählte Mariekes
Nummer. Während der Rufton erklang, musterte er das eingefallene, aschgraue Gesicht
im Spiegel, wandte sich dann aber schnell ab.
Marieke
kannte Jessica Hellmann zwar vom gemeinsamen Biologiestudium her, sie war aber nicht
enger mit ihr befreundet. Tannenbergs Nichte beteuerte, ihr weder eine E-Mail geschickt
noch sich mit ihr zum Joggen verabredet zu haben.
»Marieke
weiß von nichts«, sagte Tannenberg, zurück in Jessicas Studentenbude. »Folglich
wurde diese E-Mail fingiert, um Jessica zum Gelterswoog zu locken.«
Lukas vergrub
sein Gesicht in den Händen. Er schluchzte auf, während sein Oberkörper heftig bebte.
»Oh, mein Gott«, stöhnte er und stürmte zur Toilette.
»Es bedeutet
aber noch etwas anderes, Wolf«, raunte Dr. Schönthaler seinem Freund zu.
»Du meinst,
dass es sich beim Absender dieser Mail höchstwahrscheinlich um den Einbrecher handelt,
der die beiden Laptops aus Mariekes Wohnung gestohlen hat?«
»Genau,
das meine ich.«
In Tannenbergs
Hosentasche vibrierte sein Handy. Die uniformierten Kollegen hatten soeben Jessica
Hellmanns VW-Polo in der Nähe des Gelterswoogs entdeckt. Der PKW war verschlossen,
von der vermissten Studentin allerdings keine Spur.
Der Kriminalbeamte
informierte Lukas Schnellinger über die Neuigkeiten und bat ihn, sofort Bescheid
zu geben, wenn sich seine Freundin bei ihm melden würde. Als er ihm an Jessicas
Zimmertür seine Visitenkarte in die Hand drückte, versuchte er ihm Mut zuzusprechen.
»Sie werden
sehen, Jessica ist bestimmt mit ihrer Freundin mitgefahren und hat ihr Auto deshalb
stehen lassen. Die jungen Damen haben sich wahrscheinlich in der Nacht derart verquatscht,
dass sie heute Morgen verschlafen haben«, sagte Tannenberg, obwohl er seinen Worten
selbst keinen Glauben schenkte.
Lukas antwortete
nicht und senkte kopfschüttelnd den Blick zu Boden.
»Sicherheitshalber
würde ich gerne Frau Hellmanns Laptop mit zu meiner Dienststelle nehmen und von
unseren Spezialisten begutachten lassen. Vielleicht finden die noch andere Hinweise.
Ist das okay?«
Nur ein
stummes Nicken.
»Deine Worte
in Gottes Ohr«, sagte Dr. Schönthaler auf dem Weg zu seinem top restaurierten, laubfroschgrünen
2 CV 4, den er in der Waldstraße abgestellt hatte.
Der Chef-Ermittler
seufzte tief. »Ach, Rainer, ich weiß doch selbst nur zu gut, dass ich vorhin nicht
gesagt habe, was ich wirklich denke. Aber der arme Kerl hat mir eben unheimlich
leidgetan.« Wolfram Tannenberg kickte eine leere Plastikflasche in den Rinnstein.
»Das spurlose Verschwinden seiner Freundin bereitet ihm enorme Kopfschmerzen, auch
im Hinblick auf die Zukunft.«
»Du befürchtest,
das ist nur der Anfang einer Entführungs- oder gar Mordserie?«
»Ja. Ich
habe ein
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