Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
ganz, ganz mulmiges Gefühl.«
Der Pathologe
machte eine abschätzige Handbewegung. »Komm, alter Junge, verschon mich bloß mit
deiner chaotischen Gefühlswelt.«
Tannenberg
ignorierte die provokante Bemerkung seines besten Freundes. »Glaubst du, Jessica
lebt noch?«, fragte er.
»Ja, bin
ich denn ein Hellseher?«, blaffte der 2-CV-Fahrer und startete seine Ente per Knopfdruck.
»Mann, wenn ich hellsehen könnte, würde ich Lotto spielen. Dann könnte ich mich
endlich zur Ruhe setzen und müsste nicht andauernd für deprimierte, senile Provinzbullen
den Taxifahrer geben.« Der Rechtsmediziner hob die Brauen und fragte in betont gestelztem
Ton: »Wohin darf ich Durchlaucht nun chauffieren?«
»Zum Pfaffplatz,
James.«
Dr. Schönthaler
deutete einen militärischen Gruß an. »Sehr wohl, Herr Kurfürst.«
Am Pfaffplatz kletterte Tannenberg
aus der urigen Schaukelkiste seines Freundes, der anschließend mit quietschenden
Vorderreifen zum pathologischen Institut losknatterte. Als er wenig später im Labor
der Kriminaltechnik erschien, stöberte der Leiter der Spurensicherung gerade in
einer Datenbank.
»Hallo,
alter Dreckschnüffler. Wann hast du denn endlich etwas Interessantes für mich?«,
polterte Tannenberg in den Raum.
Karl Mertel
konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihn bei seiner Arbeit störte. Aus
diesem Grund zeigte er dem ungeduldigen Eindringling erst einmal die kalte Schulter
und recherchierte weiter im Fingerspuren-Archiv des Landeskriminalamtes.
Wie stets
ignorierte Tannenberg die demonstrative Abweisung und brachte den Spurenexperten
auf den neuesten Stand der Ermittlungen, indem er ihm einfach lauthals die aktuelle
Faktenlage vortrug.
»Ruf sofort
deine Nichte an«, grummelte Mertel, den Blick weiterhin stur auf den Monitor gerichtet.
»Warum denn?«
»Frag sie,
welche Passwörter sie auf der Festplatte abgespeichert hat.«
Tannenberg
gehorchte und telefonierte noch einmal mit Marieke.
»Als ich
ihr diese Frage gestellt habe, wurde sie plötzlich ganz verlegen, Karl«, sagte Tannenberg,
als er wieder neben ihm stand. »Sie hat zugegeben, dass sie die Passwörter für ihre
sozialen Netzwerke, ihre Mailboxen und sogar die Zugangscodes fürs Onlinebanking
auf der Festplatte gespeichert hat.«
»Das gibt’s
doch gar nicht. Diese jungen Leute sind so was von naiv«, schimpfte Mertel und unterbrach
seine Arbeit. »Damit kann sich jeder, der im Besitz von Mariekes Computer ist, mit
ihren Identifikationscodes einloggen. Hast du ihr klargemacht, dass sie die Bankkonten
sofort sperren lassen muss?«
»Ja, das
haben wir schon in der Nacht des Einbruchs veranlasst. Ihr Handy und die Scheckkarten
wurden schließlich ebenfalls gestohlen.«
Kopfschüttelnd
raufte sich der Spurenexperte die Haare. »Mann, oh Mann, wie kann man nur so total
naiv sein«, wiederholte er. »Diese jungen Leute haben ihr gesamtes Leben auf der
Festplatte oder in diesen vermeintlich sozialen Netzwerken gespeichert. Und dann
sichern sie diese sensiblen Datenbestände, Fotos und was weiß ich noch alles noch
nicht mal vor unbefugten Zugriffen ab. So blöd kann man doch eigentlich gar nicht
sein, oder, Wolf?«
»Nee, eigentlich
nicht«, bestätigte der Leiter des K 1.
»Jeder,
der solch einen ungeschützten PC in die Finger kriegt, kann sofort in die Identität
des ehemaligen Besitzers schlüpfen und alles Mögliche damit anstellen. Natürlich
auch kriminelle Dinge.«
»Mir ist
das alles klar. Aber erzähl diese Bedenken mal deinen Kindern. Für die sind doch
Leute wie wir verstaubte Relikte aus ferner Urzeit.«
Karl Mertel
stemmte sich in die Höhe, schritt auf Tannenberg zu und packte ihn an den Schultern.
»Stell dir das mal vor, Wolf: Dieser Typ kann Konten plündern, teure Sachen auf
den Namen des Besitzers bestellen, anonym andere Menschen beschimpfen, bedrohen
…«
»Oder sich
mit einer Studentin angeblich zum Joggen verabreden, sie dann aber entführen und
vielleicht sogar ermorden«, schnitt ihm sein Kollege das Wort ab.
Ein paar
Sekunden lang wanderte das betretene Schweigen zwischen den altgedienten Kriminalbeamten
hin und her. Man hörte nur das Surren des PC-Lüfters und das Ticken einer riesigen
Bahnhofsuhr, die über Mertels Schreibtisch hing.
»Das hier
ist der Laptop der vermissten Studentin, die angeblich von Marieke eine E-Mail erhalten
hat«, brach Tannenberg das Schweigen. Er legte das Notebook auf Mertels Labortisch.
»Kannst du versuchen, in Jessica Hellmanns soziale Netzwerke
Weitere Kostenlose Bücher