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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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das nicht klappt, müssen wir sofort in den OP und einen Kaiserschnitt vornehmen. Also, sind Sie damit einverstanden?«
    Sie sah mich an, und ihre Stimme klang brüchig. »Können Sie mir einen Moment Zeit lassen, um darüber nachzudenken?«
    Ich schüttelte den Kopf, als der Assistenzarzt und eine Schwester ins Zimmer kamen. In einem größeren Krankenhaus wäre normalerweise ein Kinderarzt bei einer Zangengeburt anwesend, hier jedoch mussten wir uns mit demjenigen begnügen, der gerade Dienst hatte. Jenny flüsterte der Schülerin etwas zu, und sie flitzte wieder hinaus, um den OP in Bereitschaft zu versetzen.
    Â»Nein, Maura«, sagte ich. »Wir haben keinen Moment. Ihr Kind muss sofort geboren werden.« Sie antwortete nicht, und ich interpretierte ihr Schweigen als Zustimmung. Ich setzte mich. Jenny hatte alle Instrumente vorbereitet und schickte sich ungefragt an, Mauras Beine auf die Kniestützen zu heben. Ich injizierte die Lokalanästhesie in Mauras Perineum und setzte einen kleinen Schnitt, um den Vaginalausgang zu erweitern. Dann führte ich die Forceps ein, die Geburtszange, und wartete auf die nächste Wehe. Während Maura presste, zog ich sanft, ganz sanft. Der Kopf kam näher.
    Â»Und ausruhen«, wies ich sie an. »Beim nächsten Mal gilt’s.«
    Wieder begann sie zu pressen, und ich zog. Fast geschafft, fast… der Kopf war draußen. Ich löste die Zange, reichte sie Jenny und streckte die Hände aus … Scheiße! Ein paar Zentimeter graue Membran erschienen – die Nabelschnur hatte sich um den Hals des Kindes geschlungen, und ich hätte es beinahe übersehen. Ich hakte einen Finger darunter, zog behutsam, bis ich sie über den Kopf streifen konnte. Und dann, als ich wieder nach
den Schultern griff, presste Maura ein letztes Mal, und sie glitten von selbst heraus, gefolgt vom schleimigen Rest des Kindes. Ich reichte den festen, wunderschönen kleinen Körper an Jenny weiter, die die Kleine zum Kopfende brachte, damit sie ihre Eltern begrüßen konnte. Schluchzen war zu vernehmen, und einen Augenblick dachte ich, es käme von mir. Ich schüttelte mich, wischte mir mit dem Ärmel über die Augen und entband die Plazenta. Die Schülerin – Grace, erinnerte ich mich, sie hieß Grace – half mir, unsere Patientin zu nähen und zu säubern. Ihre Augen schimmerten feucht, doch sie war flink und ordentlich bei allem, was sie tat. Sie würde eine gute Hebamme abgeben.
    Drüben am Kinderarzttisch war der Assistenzarzt mit seiner Untersuchung fertig.
    Â»Alles bestens«, verkündete er und gab Maura das Baby zurück.

17
    Ich blieb noch eine Viertelstunde im Kreißsaal und vergewisserte mich, dass es Mutter und Kind gut ging. Dann kam ein Pfleger, um Maura zum Duschen zu bringen, und ich drehte eine schnelle Runde auf der Station, um nach meinen anderen Patientinnen zu sehen. Vor Mitte der Woche erwarteten wir keine weiteren Geburten, also würde es mit ein wenig Glück ein ruhiges Wochenende werden. Ich entschied, dass man mich entbehren konnte, und strebte auf den Fahrstuhl zu.
    Die Hebamme Jenny betrat die Station, als ich gerade hinausging.
    Â»Gut gemacht, Miss Hamilton«, sagte sie, und sofort argwöhnte ich Sarkasmus.
    Â»Ist irgendwas nicht in Ordnung?«, erkundigte ich mich, die Nackenhaare aufgestellt.
    Sie machte ein verdutztes Gesicht. »Jetzt schon«, antwortete sie. »Aber bevor Sie gekommen sind, dachte ich wirklich, die geht mir drauf. Und das habe ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr gesagt.«
    Sie musste bemerkt haben, wie irgendetwas in meinem Gesicht nachgab, denn sie kam auf mich zu und senkte die Stimme.
    Â»Ich hab vierzehn Stunden mit der Kleinen zugebracht. Sie hat mich angebrüllt, getreten und beschimpft und mir die Hand gequetscht, dass es sich anfühlt, als wären die Knochen gebrochen. Und jetzt singen sie und ihr Mann ein Loblied auf Sie, nicht auf mich.«
    Sie streckte die Hand nach meinem Arm aus und drückte ihn.
    Â»Gut gemacht, Schätzchen.«

    Â 
    Ich stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo die Büros der Chefärzte lagen. Gifford saß im letzten Zimmer am Ende des Flurs, dem größten, an der Ecke. Ich war zum ersten Mal hier, und es überraschte mich ein wenig, erinnerte mich an Privatpraxen, mit denen ich während meines Studiums Bekanntschaft gemacht hatte:

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