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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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eierschalenfarbene Wände, schwere, gestreifte Vorhänge, braune, mit Beschlagnägeln verzierte Ledersessel und ein dunkler Holzschreibtisch. Ob es sich um eine Antiquität oder um eine Reproduktion handelte, konnte ich nicht sagen. Der Schreibtisch war fast leer, nur ein zugeklappter Laptop und ein einsamer Pappordner lagen darauf. Ich hätte darauf gewettet, dass er Melissa Gairs Krankenakte enthielt.
    Gifford stand mit dem Rücken zur Tür, vornübergebeugt, die Ellbogen aufs Fensterbrett gestützt, und starrte über die Gebäude hinweg aufs Meer hinaus.
    Ich klopfte nicht an, sondern drückte einfach die bereits offene Tür auf; sie machte kein Geräusch auf dem dicken, gemusterten Teppich. Er drehte sich um.
    Â»Wie ist es gelaufen?«, erkundigte er sich.
    Â»Es ist ein Mädchen«, antwortete ich und ging über den Teppich bis in die Mitte des Zimmers.
    Â»Gratuliere.« Er stand da und sah mich an, die personifizierte Selbstbeherrschung. Gleich würde er den Kopf zur Seite neigen, eine höfliche, aber entschlossene Miene aufsetzen und fragen: »Wäre das dann alles, Miss Hamilton?«
    Nun, das konnte er mit mir nicht machen. »Ich bin so nahe dran«, ich hielt die linke Hand hoch, Daumen und Zeigefinger Millimeter voneinander entfernt, »so nahe, den größten Wutanfall meines Lebens zu kriegen. Und wissen Sie was? Ich glaube, ich würde damit durchkommen.«
    Â»Bitte nicht«, sagte er, ging durchs Zimmer und lehnte sich an seinen Schreibtisch. »Ich habe höllische Kopfschmerzen.«
    Â»Die haben Sie auch verdient. Scheiße, was wird hier eigentlich gespielt? Ist Ihnen überhaupt klar, wie ernst das ist?«
    Er seufzte und sah plötzlich müde aus. Bis jetzt hatte ich noch
nicht über sein Alter nachgedacht, doch jetzt schätzte ich insgeheim. »Was wollen Sie wissen, Tora?«
    Â»Alles. Ich will verdammt noch mal eine Erklärung.«
    Seine Antwort waren ein erschöpftes Lächeln, ein kleines Kopfschütteln und ein Schnauben – ein sehr knappes Lachen, was Fröhlichkeit und Dauer betraf. »Wollen wir das nicht alle?«, bemerkte er. Dann fuhr er sich mit beiden Händen übers Gesicht, schob sein Haar hoch und zurück. Unter seinen Achseln waren Schweißflecken zu sehen. »Ich kann Ihnen sagen, was passiert ist, während Sie im Kreißsaal waren. Reicht das?«
    Â»Das ist ein Anfang.«
    Â»Möchten Sie sich setzen?« Mit einem Kopfnicken deutete er auf einen Sessel. Ich nahm Platz. Tatsächlich hatte ich das nötig, als wäre seine Mattigkeit ansteckend. Der Sessel war äußerst bequem, und im Zimmer war es heiß. Ich zwang mich, aufrecht zu sitzen.
    Â»Detective Superintendent Harris ist unterwegs, er kommt von Inverness rüber. Er übernimmt das Ganze persönlich. Andy Dunn war vor zwanzig Minuten hier, um sich die Details zu den beiden Ärzten und den drei Schwestern zu besorgen, die Mrs. Gair betreut haben. Drei von den fünfen werden gerade auf dem Revier vernommen. Eine ist im Urlaub, die andere hat die Klinik verlassen und wird gerade ausfindig gemacht. Mrs. Gairs Frauenarzt ist auch auf dem Revier.«
    Â»Und was ist mit Ihnen?«
    Wieder lächelte er, las meine Gedanken. »Ich mache im Spätsommer und Herbst oft lange Urlaub. Als Mrs. Gair eingeliefert wurde, war ich in Neuseeland. Sie war schon seit fünf Tagen tot, als ich zurückgekommen bin.«
    Ich dachte über das nach, was er mir erzählte. War es tatsächlich möglich, dass Kenn Gifford nicht an diesem abartigen Scheiß beteiligt war, der hier ablief, was immer es auch war?
    Â»Der Pathologe, der die Autopsie vorgenommen hat, ist in Edinburgh krankgeschrieben –«
    Â»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Das war nicht Stephen Renney?«

    Gifford schüttelte den Kopf. »Stephen ist erst seit ungefähr acht Monaten hier. Er hat kurz vor Ihnen angefangen und vertritt unseren eigentlichen Pathologen – der heißt Jonathan Wheeler. Was wollte ich gerade sagen? Ach ja, Sergeant Tulloch ist unterwegs, um Jonathan zu befragen. Aber der Bericht ist hier.« Mit einer Geste deutete er auf den Aktenordner auf seinem Schreibtisch. »Scheint ziemlich gründlich zu sein. Wollen Sie ihn sehen?«
    Er streckte die Hand aus, und ich nahm die Akte, mehr weil ich Zeit zum Nachdenken brauchte, als dass ich sie wirklich lesen wollte. Ich blätterte.

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