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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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halben Krankenhauses
die Treppe hinauf folgen und eine Erklärung verlangen. Und er hatte recht, ich wurde im Kreißsaal gebraucht. Ich drehte mich um, ging weiter den Gang entlang und machte nur Halt, um mir die Hände zu waschen und das Haar zurückzubinden. Dann betrat ich den Kreißsaal.
    Zwei Hebammen waren dort zugange; die eine, eine Frau in mittlerem Alter, stammte von den Inseln und machte diesen Job schon seit zwanzig Jahren; sie machte kein Hehl daraus, dass sie mich für überflüssig hielt. Die andere, eine junge Frau Mitte zwanzig, war eine Schülerin, deren Name mir nicht mehr einfiel.
    Die angehende Mutter hieß Maura Lennon, fünfunddreißig Jahre alt und im Begriff, ihr erstes Kind zur Welt zu bringen. Mit riesengroßen Augen und bleichem, schweißglänzendem Gesicht lag sie auf dem Bett. Sie zitterte heftig, was mir überhaupt nicht gefiel. Ihr Mann saß neben ihr und warf nervöse Blicke auf das Gerät, das den Herzschlag seines Babys überwachte. Als ich näher trat, stöhnte Maura auf, und Jenny, die ältere der beiden Hebammen, half ihr, sich aufzurichten.
    Â»Kommen Sie, Maura, pressen, so fest Sie können.«
    Mauras Gesicht verzerrte sich, und sie presste, während ich Jennys Platz am Fuß des Bettes einnahm. Der Kopf des Babys war zu erkennen, doch es sah noch nicht so aus, als würde er in den nächsten paar Minuten herauskommen. Und genau das musste er tun. Maura wirkte völlig erschöpft, und die Schmerzen waren zu viel für sie geworden. Sie presste, aber es war ein schwacher Versuch, und als die Wehe nachließ, sank sie wimmernd zurück. Ich warf einen raschen Blick auf den Monitor. Der Herzschlag des Babys wurde merklich langsamer.
    Â»Wie lange geht das mit der Herzfrequenz schon so?«, wollte ich wissen.
    Â»Ungefähr seit zehn Minuten«, antwortete Jenny. »Maura hat keine Schmerzmittel bekommen, außer Gas und Luft. Sie will nicht, dass ich einen Schnitt mache, sie will keine Zange und auch keinen Kaiserschnitt.« Ich sah zum Schreibtisch. Mauras Geburtsvorbereitungsakte, in rote Pappe gebunden, lag darauf. Ich nahm sie zur
Hand und blätterte sie rasch durch. Ungefähr vier Seiten, eng getippt. Ich fragte mich, ob irgendjemand außer der werdenden Mutter das wirklich gelesen hatte. Ich würde es ganz sicher nicht tun.
    Ich trat neben das Bett und strich das feuchte Haar zur Seite, das Maura in die Stirn fiel. Es war das erste Mal, dass ich eine Patientin auf diese Weise berührte.
    Â»Wie geht’s Ihnen, Maura?«
    Sie stöhnte und schaute weg. Dämliche Frage. Ich nahm ihre Hand.
    Â»Wie lange haben Sie schon Wehen?«
    Â»Fünfzehn Stunden«, antwortete Jenny an Mauras statt. »Gestern Abend wurde eingeleitet. In der zweiundvierzigsten Woche.« Der letzte Satz klang ein wenig anklagend. Niemand wollte, dass eine Schwangerschaft zweiundvierzig Wochen dauerte, am allerwenigsten ich. In diesem Stadium beginnt die Plazenta zu verkümmern, manchmal stark, und die Rate der Totgeburten steigt dramatisch an. Eine Woche zuvor war Maura in meiner Sprechstunde gewesen, und sie hatte eisern darauf bestanden, dass die Geburt nicht eingeleitet werden solle. Ich hatte nachgegeben und sie die zweiundvierzig Wochen durchziehen lassen, allerdings gegen jede Vernunft.
    In einer neuerlichen Wehe richtete sie sich mit einem Ruck auf. Jenny und die Schülerin feuerten sie an, und ich behielt den Monitor im Auge. »Welcher Arzt hat Stationsdienst?«, fragte ich die Schülerin.
    Â»Davee Renald«, antwortete sie.
    Â»Bitten Sie ihn, herzukommen.«
    Sie huschte hinaus.
    Die Wehe verging, und ein Blick auf Jennys Gesicht verriet mir, dass wir keinerlei Fortschritte machten.
    Ich ergriff Mauras freie Hand. »Maura, sehen Sie mich an«, sagte ich und zwang sie, Blickkontakt mit mir aufzunehmen. Ihre Augen waren glasig, doch sie hielt meinem Blick stand. »Sie hatten ungewöhnlich schmerzhafte Wehen«, erklärte ich, »und Sie haben das wirklich gut gemacht, dass Sie so weit gekommen sind.«
Das stimmte auch. Eingeleitete Geburten waren immer heftig, und nur wenige standen das ohne Epiduralanästhesie durch. »Aber jetzt müssen Sie sich von uns helfen lassen.«
    Auf dem Monitor konnte ich sehen, dass abermals eine Wehe begann. Mir lief die Zeit davon.
    Â»Ich verabreiche Ihnen jetzt eine Lokalanästhesie, und dann versuch ich’s mit der Zange. Wenn

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