Todespakt
eingraviert waren.
Die Würde des Menschen ist unantastbar , las Chris in Gedanken die erste Zeile. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Er kniff die Augen zusammen, da ihn das grelle Licht der Sonne blendete, die sich für einen Moment den Weg durch eine Wolkenlücke bahnte. »Was ist das?« Er bewegte sich auf den zweiten Steinblock zu, auf dessen Inschrift ein Gegenstand haftete. Erst als er davorstand, erkannte er, dass es sich um ein Mobiltelefon handelte. Es war mit einer klebrigen Masse an dem Stein befestigt worden, genau unterhalb des dritten Artikels: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Chris zog ein Taschentuch heraus und betätigte vorsichtig den Bedienknopf des Telefons. Das Display schaltete sich ein und zeigte den Menüpunkt der Videoaufzeichnungen an. Es war nur eine Datei vorhanden. Das Vorschaubild zeigte einen Mann, der gefesselt auf einem Stuhl saß. Im grellen Licht der Sonne war es nur schwer zu erkennen, doch es gab keinen Zweifel daran, dass es sich um Herrmann handelte.
Das Geheul von Sirenen näherte sich und kündigte die Ankunft weiterer Streifenwagen an.
»Hier ist es zu grell und zu laut«, rief Chris in den Lärm hinein. »Wir müssen das auf der Dienststelle prüfen.«
Rokko, der neben ihm kniete, deutete auf die klebrige Masse, die an zwei Stellen hinter dem Telefon hervorquoll. »Sieht nach Kaugummi aus«, meinte er.
»Darin bist du der Experte.«
»Denkst du, was ich denke?«
Chris nickte. »Wie es aussieht, hat der Täter uns seine DNA hinterlassen.«
»Vorausgesetzt es handelt sich nicht um Herrmanns Kaugummi.«
»Das denke ich nicht«, sagte Chris. »Diese Inszenierung scheint mir fast so etwas wie Reue auszudrücken.«
»In Bezug auf Herrmann?«
»In Bezug auf den Täter.« Chris ließ seinen Blick über die Gebäude um den Platz herum kreisen. »Er hat die Leiche am helllichten Tag an einer öffentlichen Straße abgelegt. Und es scheint ihn nicht sonderlich gekümmert zu haben, dass er dabei beobachtet wurde.«
»Na ja«, meinte Rokko skeptisch und blickte auf die historischen Gebäude des Viertels, in denen größtenteils öffentliche Ämter und Behörden angesiedelt waren. »Heute ist Samstag. Die meisten Büros dürften demnach nicht besetzt sein.«
»Es verirren sich an einem solchen Tag aber auch eine Menge Touristen in diese Gegend.« Er deutete auf die Ansammlung aus Schaulustigen hinter der Absperrung. »Immerhin befindet sich in unmittelbarer Nähe ein Hotel, ganz zu schweigen vom kürfürstlichen Schloss hier um die Ecke. Es dürften also einige Passanten dabei zugesehen haben, wie der Täter uns diese Botschaft hier hinterlassen hat. Ich denke, es geht ihm gar nicht darum, davonzukommen. Das hier ist, was es von Anfang an gewesen ist: eine Abrechnung. Und was immer sich auf diesem Handy befindet, dürfte uns die Hintergründe dieses ganzen Chaos offenbaren.«
»Dann sollten wir das Ding schleunigst untersuchen lassen«, sagte Rokko und fügte hinzu: »Ich würde fast was dafür geben, wenn ich Meißners Gesicht sehen könnte, wenn er von einem weiteren Tatort erfährt.«
48
Das Video auf dem sichergestellten Handy offenbarte Erstaunliches. Herrmann bestätigte in seinem Geständnis die Existenz eines rechten Netzwerks, welches sich getarnt durch die Mittelalterszene über ganz Deutschland erstreckte. Eines ihrer Ziele war die Ausmerzung straffälliger Ausländer und die Schwächung ihrer Organisationen. In dem hinter einer Steckdose getarnten Versteck in Herrmanns Haus fand die Polizei einen USB-Stick. Durch das von Herrmann auf dem Video preisgegebene Passwort konnten die verschlüsselten Daten darauf eingesehen und ausgewertet werden. Es handelte sich um Namen, Verbindungen und Konten des Netzwerks, darunter auch Pläne über einen biologischen Anschlag mit dem Pesterreger im Ausland. Auch Kontakte zu anderen rechtsextremen Verbindungen und Terrorgruppen waren daraus ersichtlich. Das Material wurde sowohl dem Bundeskriminalamt als auch dem Bundesamt für Verfassungsschutz übergeben, die daraufhin umfangreiche Ermittlungsmaßnamen in Gang setzten. Bereits für den nächsten Tag war eine weitere Pressekonferenz angesetzt worden, in der man die Entwicklung der Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Allerdings erst
Weitere Kostenlose Bücher