Todespakt
beiden Seiten, und Meißners Leute suchten in ihren weißen Schutzanzügen den Boden um die ausgehobene Fundstelle ab. Als sie damit fertig waren, traten Chris und Rokko an den Rand des Grabes. Der Leichnam darin wurde ausgiebig fotografiert. Das Kupferrohr und der Pfahl waren mittlerweile entfernt worden, und die mit Erde verdreckten Augen des Toten starrten den wolkenlosen Himmel an, als wäre dort der Schrecken abgemalt, den er in seinen letzten Minuten durchlebt haben musste. In seiner Körpermitte klaffte ein durchgehendes, faustgroßes Loch. Darunter wurde das Dornenbett sichtbar, auf dem der Körper ruhte.
»Mein Gott, wer ist zu so etwas fähig?«, sagte Rokko.
»Ein ziemlich kranker Mann, würde ich sagen.« Uwe Meißner erhob sich, streifte sich die Latexhandschuhe von seinen zierlichen Händen und begrüßte die beiden Ermittler. »Und noch dabei ein verdammt kräftiger«, fügte er hinzu. »Selbst bei dem lockeren Boden dürfte es ihn einiges an Kraft gekostet haben, einen solchen Pfahl über einen Meter tief in die Erde und durch einen menschlichen Körper zu treiben. Allein das Ausheben der Grube muss ihn einige Zeit beschäftigt haben. Wir haben über eine halbe Stunde gebraucht, um den Leichnam freizulegen. Das alles spricht meiner Meinung nach für eine ziemliche Besessenheit des Täters.«
»Was hat Thielmann gesagt?«
Doktor Johann Thielmann war der örtliche Mediziner, der für ihre Behörde bei Tötungsdelikten zuständig war.
»Männliche Leiche, etwa einsachtzig, schätzungsweise Ende zwanzig. Thielmann hat in Anbetracht der Leichenflecke, der Körpertemperatur und unter der Berücksichtigung, dass der Körper unter der Erde gelegen hat, den Eintritt des Todes zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens festgelegt. Die Todesursache dürfte eindeutig sein.« Er deutete auf das Loch in dem Körper. »Der Pfahl ist im Bereich des Zwerchfells eingedrungen und hat einen Teil des Magens und das Rückgrat durchdrungen. Es dürfte ziemlich schnell gegangen sein, in Anbetracht der Todesangst, die das Opfer im Vorfeld verspürt haben muss. Es mutet beinahe wie ein Gnadenakt an.«
»Demnach war der Mann noch am Leben, als er begraben wurde«, schlussfolgerte Rokko.
»Davon können wir ausgehen«, meinte Meißner. »Der Arzt konnte keinerlei Anzeichen von Erstickung oder anderer Gewalteinwirkung feststellen. Bis auf das hier.« Er deutete auf einen rötlichen Fleck am Hals des Toten.
»Was ist das?«, fragte Chris, während er sich zu der Leiche herabbeugte.
»Das sind leichte Verbrennungen, wie sie entstehen können, wenn Strom in den Körper eindringt.«
»Ein Elektroschocker?«
»Wäre möglich.«
Chris hielt einen Moment nachdenklich inne, während er die Grube musterte. »Das dürfte ihn nicht lange genug außer Gefecht gesetzt haben, um ihn hierher zu bringen und all das zu inszenieren«, schlussfolgerte er.
Meißner nickte. »Da Hände und Füße nicht gefesselt sind, ist er vermutlich anderweitig ruhiggestellt worden.«
»Mit K.-o.-Tropfen?«
»Genaueres kann ich erst nach der Laboruntersuchung sagen. Auf jeden Fall war er bei Bewusstsein, als man ihn begraben hat. Die reichhaltigen Wunden, die die Dornen an seinem Rücken verursacht haben, deuten darauf hin, dass er zumindest versucht hat, sich aus dieser Lage zu befreien.«
Chris erhob sich und betrachtete Meißner. »Ist dir schon jemals etwas Vergleichbares untergekommen?«, fragte er.
Meißner spitzte nachdenklich die Lippen. Dann schüttelte er den Kopf »Nein. Und wenn ihr mich fragt, ist es völlig abwegig, einen Menschen auf solch eine Weise zu töten. Wisst ihr denn schon etwas über die Identität des Opfers?«
»Die Handynummer ist auf einen Daniel Nowak registriert, 27 Jahre, wohnhaft in Koblenz. Gerlach prüft den Namen in unserer Datenbank und durchsucht alle gängigen sozialen Netzwerke. Ich bin mir aber sicher, dass die besagte Person hier vor uns liegt.« Chris ging ein paar Schritte und sah sich um. »Du hast gesagt, der Tod sei zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens eingetreten«, wandte er sich an Meißner.
Der nickte.
»Das Foto, das der Täter mir vom Tatort geschickt hat, wurde aber bei Tageslicht aufgenommen.«
»Du meinst, der Kerl ist nochmal hierher zurückgekommen?«, fragte Rokko.
»Entweder das, oder er hat sich die ganze Nacht über hier aufgehalten.«
Meißner zuckte mit den Schultern. »Dazu kann ich euch noch nichts sagen. Aber wir untersuchen das Gebiet weiträumig. Sollten wir
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