Todespakt
überraschten Blick zu. »Ein Zeuge?«
»Ja, ein junger Mann, Student an der hiesigen Hochschule. Hatte sich hier oben mit einer Kommilitonin im Auto vergnügt, als sie Schreie hörten. Sie haben das Ganze vom Waldrand aus beobachtet.«
»Wo sind die beiden jetzt?«
»Sie werden medizinisch betreut. Die Frau hat einen schweren Schock erlitten, daher haben wir bis jetzt nur die Aussage ihres Begleiters, sein Name ist Ingo Kretschmer. Er sagt, das Opfer wäre auf einer hölzernen Bahre oder Leiter gefesselt gewesen, die von diesen Pfählen hier über dem Feuer aufgerichtet wurde.« Er deutete auf die Reste zweier Rundhölzer, die schräg aus dem Boden ragten. Die oberen Enden waren nur noch rußige Stümpfe. »Das Feuer hat sich demnach langsam an ihm hochgearbeitet. Der Kerl muss Höllenqualen durchlitten haben.«
Chris entdeckte den toten Raben am mittleren Teil des vorderen Pfahls, an einer Stelle, die das Feuer nicht erreicht hatte. Er war mit einem Nagel daran angebracht worden, genau wie an der Tür der Kapelle. Chris griff sich ein Paar Latexhandschuhe aus Thielmanns Koffer und streifte sie über. Anschließend zog er das Pergamentpapier auseinander, das an den Krallen des Vogels angebracht war:
Doch in mir noch
ein Funke brennt.
Die Rache ist
wie ihr euch kennt:
Mein!
»Eindeutig unser Mann«, sagte Rokko.
Chris nickte. »Kann unser Zeuge auch etwas über den Täter sagen?«
Rokko kratzte sich am Hinterkopf. »Kretschmer sagt, der Täter habe sie entdeckt und bis zum Parkplatz an der Gedenkstätte verfolgt. Dort habe er ihn im Licht der Scheinwerfer sehr gut sehen können.«
Chris trat wieder zu ihm herüber. »Und sagst du mir auch, was er dort so genau gesehen hat?«
»Na ja«, rückte Rokko zögerlich heraus. »Er meinte, er habe eine Gestalt in einem dunklen Umhang gesehen. Vom Gesicht konnte er nicht viel erkennen, da der Kopf mit einer Kapuze verhüllt war. Aber er will etwas Helles, Knochenartiges darunter gesehen haben, aus dem eine Art Schnabel herausragte. Und rötlich glühende Augen. Außerdem ...«
»Was?«
Rokko atmete durch. »Die Gestalt hat angeblich einen Stab gehabt, aus dem ... aus dem Blitze gekommen sind. Und sie hätte sich übermenschlich schnell bewegt.« Er sah verlegen zu Thielmann herüber, als verlange er von ihm Unterstützung oder eine Art von Bestätigung.
Der zuckte nur mit den Schultern. »Ich bin für die Opfer zuständig. Die Täter sind eure Sache.«
»Immerhin stimmt die Beschreibung mit der des Täters an der Kapelle überein«, meinte Chris nachdenklich.
»Komm schon, ich bitte dich«, sagte Rokko. »Ein schwebender Knochenmann mit Umhang und Zauberstab ... Wenn du mich fragst, haben die beiden hier oben verdammt schlechten Shit geraucht. Ich habe jedenfalls bei beiden einen Alkohol- und Drogentest angeordnet.«
»Dann veranlasse auch gleich eine Phantomzeichnung.«
»Wie bitte?«
»Ich will genau wissen, mit wem oder was wir es hier zu tun haben.«
»Mit was?« Rokko schnappte aufgebracht nach Luft. »Das meinst du doch nicht ernsthaft.«
»Wir haben mehrere Zeugen, die dasselbe gesehen haben«, sagte Chris. »Das können wir nicht ignorieren, auch wenn es noch so abwegig erscheint.«
»Wie du meinst«, gab Rokko widerwillig nach. »Geben wir eine Fahndung nach dem Sensenmann raus.« Er griff kopfschüttelnd nach seinem Handy und rief die Dienststelle an.
Chris ging an den Rand der Lichtung. Er ließ seinen Blick über das Rheintal und einige Fabrikgebäude auf der gegenüberliegenden Uferseite gleiten, als jemand neben ihn trat.
»Morgen Uwe«, begrüßte er den Leiter der Spurensicherung.
»Schwer zu glauben, dass jemand einen solch schönen Ort für seine grausamen Zwecke auswählt«, sagte Meißner.
»Vielleicht hat er ihn genau deswegen ausgesucht«, erwiderte Chris. »Diese Lichtung mutet beinahe wie eine Naturbühne an.« Erneut ließ er seinen Blick über das Tal gleiten. »Eine Bühne mit reichlich Publikum. Du weißt nicht zufällig, ob sonst noch jemand die Schreie des Opfers gehört hat?«
»Nein«, antwortete Meißner. »Aber wie mir der Einsatzleiter erzählt hat, ist bei der Feuerwehr gegen vier Uhr heute Morgen eine Meldung eingegangen. Zwei Schichtarbeitern sind in ihrer Zigarettenpause Flammen zwischen den Bäumen aufgefallen. Als die Feuerwehr zwanzig Minuten später eingetroffen ist, war das Feuer bereits weitestgehend abgebrannt. Sie waren so geistesgegenwärtig, den Rest mit Branddecken zu löschen und den Tatort
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