Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
wie ein starkes Band,
recht unbefangen, doch auch scheu.
Mein Liebster nimmt mich an die Hand
und zeigt mir froh das Leben neu.“
Erschöpft brach sie ab, ihr Blick schaute ins Leere. Sie war wie in Trance, war nicht mehr im Hier und Jetzt. Sie hatte Raum und Zeit verlassen. Sekundenlang blieb es still, dann senkte sie langsam den Kopf und lächelte traurig.
„Wunderschön, nicht wahr, Liebste?“
„Ja“, hauchte Annabell. „Wunderschön.“ Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Vorsichtig versuchte sie sich aufzurichten, indem sie sich seitlich mit ihren Ellbogen abstützte, sodass sie sich in einer etwas bequemeren Sitzhaltung befand. Zaghaft streckte sie einen Arm aus und nahm Charlottes eiskalte Hand in die ihre. Trotz der Hitze fühlte sie, wie ihre Freundin erschauerte. „Komm, setz dich zu mir, bitte.“
Behutsam zog sie Charlotte zu sich hinunter. Die letzten Tage hatten Spuren in Annabells Gesicht hinterlassen. Jegliche Fröhlichkeit war daraus verschwunden. Die Geiselnahme, die Entführung ihrer Mutter und das entsetzliche Begreifen, dass ihre beste Freundin eine eiskalte Mörderin war, hatten gute Arbeit geleistet. Ihre sonst so strahlende Haut war blass und fahl. Dunkle Augenringe zeugten von zu wenig Schlaf, ihr Haar hing ihr schweißnass ins Gesicht. Nichts war von der strahlenden Schönheit Annabells geblieben und Charlotte verspürte eine Art Genugtuung, als sie dies erkannte.
Jetzt bist du nicht mehr schöner als ich , dachte sie, doch es machte sie nicht froh.
„Charlotte, ich verstehe jetzt, warum du glaubst, dass Christoph sterben musste, was aber ist mit Enzo? Und mit Phillip?“ Vorsichtig streichelte Annabell ihr das Haar aus dem Gesicht. Es fühlte sich gut an. „Was haben die beiden dir getan?“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll und Charlotte reagierte erneut mit ungezügeltem Zorn. Sie funkelte Annabell böse an, zog ihre Hand zurück und lachte ein grausames Lachen.
„Anna, Anna, Anna, was soll ich nur mit dir machen?“ Höhnisch spuckte sie die Worte aus und Annabell blickte sie entsetzt an. „Enzo, der kleine Wurm. Er war ganz vernarrt in dich, nicht wahr? Er hat mir Anabolika besorgt. Der kleine italienische Spaghettifresser hat wirklich versucht, mich zu erpressen. Dumm, dumm. Er meinte, ich solle ein gutes Wort bei dir für ihn einlegen, weil er es mit dir treiben wolle. Dann würde er auch nicht der Polizei erzählen, wofür ich Anabolika gebraucht hätte und warum ich am Morgen des Mordes aus Christophs Haus spaziert wäre. Er war auch ein Schwein. Ein kleiner unbedeutender Wurm.“
Mein Gott , dachte Annabell verzweifelt, was hatte sie sich dabei nur gedacht. Sie saß einer Verrückten gegenüber und niemand wusste, wo sie war. Sie wollte in ihrer besten Freundin einfach keine Serienmörderin sehen. Als ihr bewusst wurde, in welcher Gefahr sie schwebte und die Möglichkeit durchaus bestand, das nächste Opfer zu werden, hielt sie voller Panik den Atem an. Verstohlen blickte sie sich um. Sophies Grab befand sich ganz am Ende des Friedhofes in einer Sackgasse, doch sie hoffte inständig, dass bald jemand vorbeikommen würde, denn die kleine Friedhofskapelle lag ganz in ihrer Nähe.
Charlotte bemerkte ihren Blick und es schien, als ob sie ihre Gedanken erraten hätte. Ihr Lächeln wirkte zynisch.
„Mach dir keine Sorgen, Anna. Wir sind hier ungestört. Um diese Zeit und dazu in dieser Hitze verirrt sich selten jemand hierhin.“
Halt sie am Reden, weiter am Reden.
„Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Es war so einfach. Ich habe ihn beobachtet. Er verließ das Haus mit seinem Hund und ich wusste, welche Strecke er ging, denn wenn ich bei Frau Peters war, hab ich ihn des Öfteren gesehen. Also hatte ich Zeit, alles vorzubereiten. Es regnete in Strömen, deshalb würde mich niemand sehen. Ich befestigte den Strick an dem Baum und stellte den Schemel darunter. Dann wartete ich hinter einem anderen Baum. Hätte jemand das skurrile Bild gesehen, er hätte gedacht, dass es eins von den Kunstwerken wäre, die immer wieder im Wald auftauchten.“ Gedankenverloren blickte sie ins Leere. „Weißt du noch, als wir beim Joggen immer die kleinen Kunstwerke bewundert haben? Was war da alles dabei? Weißt du es noch?“ Als die Angesprochene nicht antwortete, schubste sie diese unsanft. „Annabell, hörst du mir überhaupt zu?!“, schrie sie plötzlich und ihre Freundin zuckte zusammen.
„Natürlich kann ich mich an die Kunstwerke erinnern. Ein gewobenes Netz zwischen den
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