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Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)

Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)

Titel: Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Wilhelmy
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Lider flackerten unruhig und fühlten sich so schwer an, dass sie sie gleich wieder schloss. Verwirrt versuchte sie zu realisieren und zu begreifen, was sie in diesem Bruchteil der Sekunde wahrgenommen hatte. Ausgestreckt auf einem kalten Betonboden hatte sie ganz deutlich für diesen kleinen Moment Jesus Christus am Kreuz gesehen. Panik überrollte sie und krampfhaft hielt sie ihre Augen geschlossen. Bin ich schon tot? , dachte sie erschüttert, aber sie konnte doch ganz deutlich den harten Boden unter sich fühlen und einen modrigen Geruch, der wie verfaulte Erde roch, in ihrer Nase wahrnehmen. Der dröhnende Schmerz in ihrem Kopf brachte ihr die Sicherheit, dass sie noch leben musste. Erinnerungen fluteten ihr Gehirn und die plötzliche Erkenntnis der Geschehnisse ließ sie aufstöhnen. Sie fröstelte in der kühlen Luft.
    Wieder öffnete sie ihre Augen und versuchte ganz leicht, ihren Kopf zu drehen. Verständnislos blickte sie um sich und begriff zunächst nicht, wo sie sich befand. Sie war schon einmal hier gewesen. Wann war das? Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern. Dann fiel es ihr ein. Sie lag genau an der Stelle, wo der Sarg ihrer verstorbenen Großmutter gestanden hatte, in der kleinen Friedhofskapelle in Heiligenburg. Szenen glitten vorbei an ihrem geistigen Auge, Szenen der Trauer, aber auch der Bewunderung, die die Heiligenburger ihrer Omi entgegengebracht hatten. Sie erinnerte sich, dass diese kleine Kapelle bis auf den letzten Platz gefüllt war und viele der Trauergäste hinter der letzten Reihe eng aneinander standen, um der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Annabells Großmutter hatte bis kurz vor ihrem Tod den Steinhof mit Liebe und resoluter Hingabe geführt und eine große Lücke bei den Heiligenburger Bürger hinterlassen. Doch nun lag sie selber hier und ängstlich erkannte Annabell, dass sie unfähig war, ihren Körper zu bewegen. Charlotte … Wo war sie? Sie hatte ihr das angetan.
    „Charlotte?“, hauchte sie und starrte gebannt auf das Jesuskreuz, das direkt über ihr schwebte.
    „Pst!“ Charlottes Stimme war ganz nah bei ihr. „Ich bin bei dir, habe keine Angst, Sophie.“ Charlotte saß neben ihr auf dem Steinboden und streichelte Annabell sanft über den Kopf. Oh, mein Gott, sie denkt, ich bin Sophie. Sie ist verrückt. Was soll ich tun?
    „Charlotte“, flüsterte sie angestrengt und versuchte dabei ihren Körper zu fühlen. „Ich bin Annabell, ich bin nicht Sophie.“ Ganz sachte bewegte sie ihre Finger. Ein Kribbeln in ihren Beinen erlöste sie von dem Gedanken, sich niemals wieder bewegen zu können. Ganz zaghaft spürte sie die Kraft, die langsam wieder in ihren Körper zurückkehrte. Mit allergrößter Willensstärke hielt sie die Bewegungen zurück, die sich ähnlich wie ein heftiges Niesen entladen wollten, denn sie spürte, dass ihre Freundin nicht wissen durfte, dass die Wirkung der Spritze, die sie ihr gegeben hatte, nachließ. Noch war sie zu schwach, um gegen Charlotte anzukommen. Sie musste Zeit gewinnen. „Ich bin Annabell, Charlotte. Ich bin deine Freundin. Warum tust du mir das an?“ Ihre Worte waren kaum zu verstehen und doch wusste sie, dass Charlotte sie gehört hatte, denn sie drehte ganz leicht den Kopf in ihre Richtung und blickte ihr in die Augen.
    „Du hast sie nicht gekannt, Annabell.“ So viel Trauer schwang in dieser Stimme, dass Annabell trotz ihrer misslichen Lage Mitleid mit ihrer Freundin bekam, die den Schmerz über den Tod ihrer Schwester nicht verwinden konnte.
    „Du musst loslassen, Lotte. Sie ist tot, aber du lebst.“
    „Neiiiiiiin!“ Charlotte sprang wie ein gehetztes Tier auf und raufte sich verzweifelt die Haare. „Neiiiiiin!“, schrie sie erneut, dann brach sie erschöpft zusammen und weinte jämmerlich.
    „Lotte.“ Hilflos und müde versuchte Annabell, sich zu konzentrieren. „Erzähl mir von ihr“, wisperte sie, doch sie wusste nicht, ob Charlotte sie überhaupt noch wahrnahm. So plötzlich wie ihr Weinen begonnen hatte, so plötzlich war es verschwunden. Die Stille, die sie beide in dieser Kapelle umgab, war für Annabell unerträglich. Sie musste dieses unheimliche Schweigen beenden. „Bitte, Lotte, es geht mir nicht gut, lass mich bitte nach Hause gehen.“ Stille, Schweigen. Sekundenlang. Unendliche Sekunden.
    „Willst du nicht mit mir ins Paradies?“ Charlottes Stimme klang ruhig, und wären die Worte andere gewesen, hätte sie beinahe vernünftig geklungen. „Ich soll dir von ihr erzählen“,

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