Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
Dabei schaute er Reiser aus trüben Augen an.
„Darauf kommen wir später. Schön eins nach dem anderen und beantworten Sie einfach nur meine Fragen.“ Ein aggressiver Unterton war in seiner Stimme zu hören.
Sie befanden sich in Simons Büro, ein schlichter Raum, der nicht viel mehr bot als einen Schreibtisch mit zwei Stühlen in der Mitte des Zimmers und Regale mit Akten an den Wänden. Auf der Fensterbank des kleinen Fensters stand einsam und verlassen eine Orchidee mit wunderschönen lilafarbenen Blüten. Kein Foto schmückte Simons Schreibtisch, das hätte er äußerst überflüssig und albern gefunden. Diese Blumen, das einzig Private in seinem Büro, waren die Lieblingsblumen seiner Frau Catherine gewesen, die er oft als seine Orchidee bezeichnet hatte.
Reiser hatte es sich auf Simons Stuhl bequem gemacht und wippte bedächtig vor und zurück. Er ließ den Zeugen keine Sekunde aus den Augen. Sebastian Witt saß wie ein Häufchen Elend zusammengekauert auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch. Simon, der an der Wand gelehnt links neben Reiser stand, schaltete sich sofort ein. Er hielt nichts davon, Zeugen einzuschüchtern.
„Wir fangen einfach am Anfang an, Herr Witt. Erzählen Sie uns alles, was an diesem Wochenende passiert ist, von Samstag früh bis Sonntagabend.“ Simon wusste, dass es jetzt von größter Bedeutung war, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen, ihm keinerlei Vorwürfe zu machen oder ihn mit Anschuldigungen zu konfrontieren. Reisers Methode führte oft dazu, dass der Zeuge oder Beschuldigte nur unzureichende Aussagen von sich gab, die Strategie des „Löcher in den Bauch fragen“ hatte noch nicht begonnen. Simon wollte den Jungen erst einmal erzählen lassen.
Das Positive an Reiser war, dass er den Wink sofort erfasste und Simon mit seiner Verhörtaktik vollends unterstützte. Er war auch nicht beleidigt, denn er wusste, dass seine Zeit kommen würde.
„Erzählen Sie bitte genau. Alles, was Ihnen einfällt. Wir können jede Unterstützung gebrauchen.“ Simon sprach freundlich und lächelte den Zeugen an. „Lassen Sie nichts aus, auch wenn Sie glauben, es wäre nicht so wichtig.“
Sie konnten es Sebastian Witt ansehen, wie er innerlich mit sich rang. Nervös bewegte er seine Hände, massierte sie, ballte sie zu Fäusten, öffnete sie wieder, ein Wechselspiel der Gefühle. Sein Atem ging schwer und es dauerte einige Sekunden, bis er anfing zu sprechen.
„Freitagabend habe ich Chris zum letzten Mal lebend gesehen.“ Bei dieser Aussage füllten sich seine Augen wieder mit Tränen. „Ich habe mir sein Auto ausgeliehen, weil meines“, er stockte, „weil ich keines mehr habe. Am Samstagnachmittag musste ich zu einem Job nach Köln. Ich model ab und zu mal für verschiedene Events, dieser hier war nur ein ganz kleiner Job, nichts Besonderes, aber sie haben ganz gut bezahlt, deshalb wollte ich unbedingt hin. Es war für eine Broschüre eines Fitness-Studios, dort wurden auch die Fotos geschossen. Hat nicht lange gedauert, ich war von ca. halb zwei bis um halb sechs da. Manche Jobs dauern den ganzen Tag, dieser nicht.“
Bei Sebastian Witts Aussehen war dies eine durchaus glaubwürdige Aussage, die sich auch leicht nachprüfen ließ, überlegte Simon. Doch laut Aussage von Tom de Camp am Tatort musste der Junge schon einige Stunden tot gewesen sein, Todeszeit aller Wahrscheinlichkeit am Vormittag. Er wollte Sebastian nicht unterbrechen und wartete ab.
Und wirklich, er sprach sofort weiter.
„Am Samstag habe ich lange geschlafen, so bis 11 Uhr. War ein bisschen spät geworden am Freitagabend. Meine Mutter und meine Schwester sind schon früh aus dem Haus. Sie hatten sich auf dem Trödelmarkt einen Stand gemietet, da muss man dann schon um 7 Uhr antanzen. Verrückt, und das wegen der paar Kröten, das ist nichts für mich.“
Simon erkannte den Unwillen in Reisers Gesicht. Er konnte sich gut vorstellen, was in dessen Kopf vor sich ging.
Da hielt jemand sein hübsches Gesicht in die Kamera und bekam dafür auch noch Geld. Sein Partner hatte für solche Art von Arbeit keinerlei Verständnis.
Auch dachte er über das fehlende Alibi nach. Witt hätte es also durchaus sein können. Welches Motiv sollte er jedoch haben? Erzähl weiter, Junge .
„Um zwölf bin ich kurz ins BFit gegangen, um zu trainieren. Chris wollte eigentlich auch kommen, und als er nicht auftauchte, habe ich es ein paar Mal auf seinem Handy versucht. Ständig sprang die Mailbox an. Ich dachte, bestimmt hat er es
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