Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
wolle ihn schlagen, doch dieser sagte nur mit ruhiger kalter Stimme:
„Du wirst in der Hölle schmoren, Hubert.“
Der Architekt kam auf die beiden zu und fragte beunruhigt:
„Alles in Ordnung, Herr Stein?“
„Ja, ja, alles okay. Karl, beruhige dich. Ich hätte das Gebäude erhalten, aber der schlechte Gesamtzustand machte das leider nicht möglich. Frag ihn“, er zeigte auf den Architekten, „er wird es dir bestätigen.“
„Einen Scheiß wird er tun.“ Karl spuckte die Worte förmlich aus. „Versteckst du dich jetzt wie eine Memme hinter diesem Typ? Der tanzt doch eh nur nach deiner Pfeife. Erbärmlich!“ Karl Pütz war nicht mehr zu bremsen. Seine Stimme klang hasserfüllt. „Und was ist mit Christoph? Er hatte das Vorkaufsrecht auf sein Häuschen, das auch du unbedingt haben wolltest. Aber er hat dir gesagt und dabei ins Gesicht gelacht, dass er sich das Geld verschaffen könne, das er brauche und du dir das Häuschen endgültig abschminken könntest. Ja, und nun ist er tot. Was für ein Zufall, Hubert. Sein Häuschen hättest du nur über seine Leiche bekommen. Das alles hat mir Christoph erzählt, vielleicht interessiert das ja auch die Polizei.“
Hubert erbleichte und schaute den alten Mann fassungslos an.
„Karl, bist du jetzt komplett verrückt geworden? Chris starb an einer Überdosis, und außerdem hätte er sowieso niemals das Geld zusammenbekommen. Willst du mir jetzt einen Mord in die Schuhe schieben? Die Polizei wird dich auslachen, Karl. Geh nach Hause und hör auf mit diesen Ammenmärchen.“
Er schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen um, doch der Alte hielt ihn am Arm fest.
„Sie werden nicht lachen, Hubert, sie werden nicht lachen.“ Dann ließ er Hubert los und ging langsam, sich auf den Stock stützend, die Straße entlang. Er schaute nicht mehr zurück, aber er ahnte, dass Hubert ihm mit sorgenvoller Miene nachschaute.
M olly Hazelwood beobachtete neugierig die beiden Männer, die dem Anschein nach keineswegs in trauter Eintracht auseinander gegangen waren. Traurig hatte sie wenige Minuten zuvor kurzerhand das kleine Haus am Waldesrand verlassen, in dem ihr Neffe ein so furchtbares Schicksal hatte erleiden müssen. Auch wenn sie Christoph nur flüchtig gekannt hatte und das noch nicht einmal persönlich, spürte sie in jedem Raum seine Gegenwart. Sie ahnte, dass die Seele des Ermordeten noch nicht bereit war, sein Heim zu verlassen und an den Ort zu gehen, der für ihn vorgesehen war. Molly wusste, diese Seele würde sie berühren und gefangen nehmen, wenn sie sich entscheiden sollte, in ihrem Elternhaus zu bleiben und den Plan, unabhängig und frei mit ihrem Wohnmobil die erträumten Abenteuer zu erleben, aufzugeben. Sie war sich keineswegs sicher, ob sie die Kraft aufbringen könnte, einen weiteren Geist in ihr Leben zu lassen. Und schon gar nicht solch einen rastlosen. Sie hatte weiß Gott genug spirituelle Fürsorge in Gestalt ihres verstorbenen Mannes Eduard.
Langsam schlenderte sie den Kiesweg zur Straße hinunter und blieb halb verborgen hinter den hohen Koniferen stehen. Der alte zerbrechliche Mann, den Kopf tief auf seine Brust gesenkt, bemerkte sie nicht. Als er näher kam, vernahm sie seine leise Stimme, jedoch die Worte, die er sprach, blieben unverständlich.
„Karl?“ Abrupt hob er den Kopf. Es war ein kurzer Augenblick des Erkennens, als sie in sein zerfurchtes Gesicht blickte. Noch zweifelte sie, doch als sie das sanfte Lächeln, das über sein altes Gesicht huschte, und das glückliche Flimmern seiner Augen bemerkte, waren alle Zweifel vergessen.
„Molly, mein Gott, Molly.“ Tränen des Glückes oder der Verzweiflung, sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, liefen über seine eingefallenen Wangen. Zittrige Hände erfassten sie, seine Arme hielten sie umschlossen und zum allerersten Mal seit ihrer Ankunft fühlte Molly Hazelwood sich endlich daheim. Die Geste war so vertraut, die vielen Jahre ihrer Abwesenheit wie ausgelöscht.
Wie alt mag ich gewesen sein , versuchte Molly sich zu entsinnen, an dem Tag, als Karl mit seiner Frau Maria in dem kleinen Nachbarhäuschen eingezogen war? Das Bild eines Kindes, ihr Bild, tief vergraben in ihren Erinnerungen, zog an ihrem geistigen Auge vorbei. Sie sah ein fröhliches, lustiges Mädchen mit langen, geflochtenen Zöpfen, die neugierig ihre Welt entdecken wollte. Kein Baum in ihrem geliebten Wald war zu hoch, keine Pfütze zu tief und kein Weg zu steinig gewesen. Sie war ein Wildfang und jedem
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