Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
jetzt nach Hause!“, entrüstete sich der Zeuge und wollte wieder aufspringen.
„Setzen Sie sich sofort wieder hin!“ Reisers Stimme war messerscharf. „Wir sind noch nicht fertig und wir bestimmen, wann Sie gehen können. Sie sagen uns nicht alles, was Sie wissen. Wieso sind Sie überhaupt noch einmal zum Haus des Verstorbenen gefahren? Das Auto hatten Sie doch schon.“ Reiser schaute in die Unterlagen, die vor ihm lagen, und blätterte sie durch. „Sie waren so gegen 18 Uhr dort, stimmt das?“ Reiser schien keine Antwort zu erwarten und fuhr fort: „Um 18.15 Uhr haben Sie bei der Polizei den Notruf getätigt. Erzählen Sie uns bitte, was Sie davor getan haben. Wo haben Sie das Auto geparkt, sind Sie zuerst in das Haus gegangen, haben Sie etwas bemerkt? Die Türen, waren sie geschlossen oder waren sie offen? Warum sind Sie überhaupt in die Garage gegangen? Herr Witt, wir brauchen Antworten, hier geht es um Mord, das ist keine Kinderstunde!“
Blass und verletzt wirkte Sebastian Witt, während er Reiser direkt anschaute und mit fester Stimme antwortete:
„Okay, Herr Kommissar“, der Tonfall seiner Stimme klang schnippisch, „ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß. Es stimmt, ich bin so gegen sechs hingefahren, weil ich mir Sorgen gemacht habe. Den ganzen Tag hatte ich ja versucht, Chris auf dem Handy zu erreichen, wie gesagt, jedes Mal sprang die Mailbox an. Nach dem Model-Job wollte ich nach ihm sehen und vielleicht, dachte ich, hätte er auch Lust, mit mir ein Bierchen trinken zu gehen.“
Seine Stimme brach und er zögerte einige Sekunden, bevor er weitersprach.
„Das Auto habe ich auf der Straße geparkt, weil es etwas schwierig ist, aus der Ausfahrt herauszukommen. Ich bin also die Auffahrt zu Fuß hoch und direkt zum Haus rübergegangen. Die Haustür stand weit offen, darüber hab ich mich gewundert und irgendwie hatte ich sofort ein ganz komisches Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.“
Plötzlich standen Tränen in seinen Augen und Simon dachte, dass der Junge entweder ein perfekter Schauspieler oder jemand war, der verzweifelt um seinen Kumpel trauerte.
„Ich habe seinen Namen gerufen, immer und immer wieder. Bin durch das ganze Haus gelaufen, auch nach oben ins Schlafzimmer.“
Er senkte den Blick und starrte auf seine Hände. So verharrte er einige Sekunden, und als er wieder aufblickte, waren seine Augen leer und er schien durch Simon und Reiser hindurchzusehen, als ob sie gar nicht anwesend wären.
„Niemand antwortete“, fuhr er mit gebrochener Stimme fort. „Es war so still, so unglaublich still.“ Die Worte hingen wie dunkle Wolken in der Luft.
„Was haben Sie dann gemacht, Herr Witt?“ Reiser lehnte sich etwas vor und Simon sah, wie sehr er sich bemühte, die Geduld zu bewahren. Reiser glaubte wohl eher an die Version des Schauspielers.
Sebastian Witt schluckte.
„Ich bin dann raus. Dort habe ich auch weiter gerufen. Eigentlich wollte ich wieder fahren, aber dann dachte ich mir, dass er vermutlich in der Garage sein könnte und wieder an irgendetwas rumbastelt. Also hab ich kehrt gemacht und bin hin. Die Tür war zu, aber nicht abgeschlossen. Das macht er sowieso nie. Machte, mein ich, verflucht!“
Ein weiteres Mal sprang Sebastian auf und trommelte wütend mit den Fäusten auf den Schreibtisch. Er schrie die nächsten Worte voller Verzweiflung:
„Er lag da, auf der Seite, verdammt noch Mal, und ich habe versucht, ihn wiederzubeleben, aber ich wusste, dass er tot war! Ich wusste es!“ Hilflos brach er ab und sank schluchzend auf den Stuhl nieder.
E r stand ganz still im Schatten der hohen Laterne und schaute auf das hellbeleuchtete Haus. Er trug eine dunkle Regenjacke, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Der Regen perlte von ihm ab, wie vergossene Tränen. Er liebte den Regen in den Abendstunden, dann hatte er die Straßen für sich alleine.
Niemand würde ihn stören. Die Menschen blieben lieber zu Hause und verbrachten den Abend vor dem Fernseher oder sie lasen ein Buch, spielten mit ihren Kindern, aßen zu Abend.
Der Sommer neigte sich dem Ende zu, der Herbst stand vor der Tür, die Tage wurden kürzer, früher als bisher kam die Dunkelheit. Das war schön, denn dann konnte er sie viel besser sehen und durch ihr beleuchtetes Fenster betrachten. Wenige Autos eilten an ihm vorbei.
Im schmutzigen Regenwasser der Pfützen, die wie schwarze Löcher aussahen, spiegelten sich die Lichter der Straße. Die Autofahrer würden ihn nicht wahrnehmen, sie fuhren
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