Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
Gegenwart gemacht.
D ie Bagger kamen am Montag. Der kleine alte Mann stand versteinert, seine Hände zu Fäusten geballt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Mit Tränen in den Augen verfolgte er den Abriss des kleinen Hauses am Waldrand.
Staub wirbelte auf, als der riesige Hydraulikbagger die Außenwand einriss. Verzweiflung und Wut überwältigten ihn. Er dachte an die vergangenen Tage, an den Umzug aus seinem alten Leben in eine winzige Wohnung im Altersheim, und er erinnerte sich an das Versprechen, das er ihm gegeben hatte:
„Sei unbesorgt, Karl, wir werden ein nettes junges Pärchen für dein Häuschen finden, eine kleine hübsche Familie, die wie du dort glückliche Zeiten erleben wird.“ Als Sohn seines alten verstorbenen Freundes hatte er ihm vertraut und ihm sein Haus, das er über sechzig Jahre bewohnt hatte, schweren Herzens verkauft.
Er hatte gewusst, dass er es alleine nicht mehr schaffen würde. Die hohen Kosten an dem alten Gebäude hatten ihn erdrückt und seit dem Tod seiner geliebten Maria vor drei Jahren hatte ihm die Kraft gefehlt, das Haus zu pflegen und zu bewirtschaften. Kinder hatten sie keine, obwohl sie sich immer welche gewünscht hatten. Ihre Kinder waren die vielen Hunde gewesen, die über lange Jahre ihr Leben begleitet hatten.
„Und mit dem Erlös, Karl“, hatte Hubert mit freundlicher Stimme gesagt, „mit dem Erlös kannst du ein unbeschwertes Leben führen. Du wirst sehen, es wird dir bestimmt gefallen. In der Altersresidenz Sonnengarten wirst du bald neue Freunde finden und du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern.“
Betrogen haben sie mich, und belogen, niemals haben sie davon gesprochen, dass unser Häuschen abgerissen werden sollte. Getäuscht haben sie mich, die ehrenwerten Herren, diese Verbrecher! Die Gedanken des alten Mannes drehten sich im Kreis. Er fühlte sich erschöpft, seine Beine zitterten und er suchte Halt an einem Gartenzaun.
Er zuckte zusammen, als der Bagger sich weiter durch die Mauern fraß, ein Monster, das durch Marias geliebten Garten wütete und alles zerstörte, was er und seine Frau in all den Jahren aufgebaut hatten. Sie waren so jung gewesen, frisch verliebt, und als sie geheiratet hatten, hatten sie mithilfe beider Eltern dieses kleine Haus am Wald gekauft. 1936 gebaut, war es ein typisches Arbeiterhäuschen, nichts besonderes, aber für ihn und seine Frau bedeutete es alles.
Unter lautem Getöse und einer Staubwolke brach der Dachstuhl ein, Holz zersplitterte, Fenster zersprangen, innerhalb von Minuten würde das Haus für immer verschwunden sein. Und übrig blieben nur die Erinnerungen. Karl wandte sich zum Gehen. Er nahm seinen Stock und schlurfte langsam in gebückter Haltung die Straße entlang. Was soll ich hier noch? , dachte er und erblickte im gleichen Moment Huberts Mercedes, der schnell die Straße entlangfuhr und mit quietschenden Reifen in eine Nebenstraße abbog. Karls Herzschlag schien für Sekunden auszusetzen, ein dumpfes Gefühl in der Magengegend breitete sich aus. Rachegedanken schossen in seinen Kopf. Der alte Mann drehte sich um, wild entschlossen, den Mann, der einen bedeutenden Teil seiner Vergangenheit zerstört hatte, zur Rede zu stellen.
Als er in die Seitenstraße einbog, sah er Hubert im Gespräch mit einem fremden Mann. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und betrachteten eine große Skizze, die der Mann in den Händen hielt. Karl vermutete, dass es sich um den Architekten oder den Bauleiter handeln musste und näherte sich so schnell er es konnte.
Hubert hob den Kopf, sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig und er blickte besorgt in seine Richtung. Er ahnte wohl, was ihn erwartete und kam mit einem herablassenden Lächeln auf ihn zu.
„Karl, was machst du denn hier?“ Hubert versuchte ihm die Hand zu reichen, doch Karl ignorierte wütend diese Geste und fauchte:
„Bist du zu feige, um mir zu sagen, dass du mein Häuschen abreißt? Warum hast du das getan, Hubert? Du hast mir versprochen, dass es in gute Hände kommt. Du bist ein verdammter Lügner, nein, viel schlimmer, du bist ein Verbrecher, denn ich bin nicht der Einzige, dem du das angetan hast, du Betrüger! Wir werden uns zusammentun und dich fertigmachen, glaube mir, das wirst du bereuen!“
Wie um diese Worte zu untermalen, stürzte im gleichen Moment die letzte Wand des Hauses zusammen. Staub wirbelte auf und mit Tränen in den Augen hob der Alte seinen Stock. Hubert wich besorgt zurück, in der Annahme, der alte Mann
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