Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
wusste, dass ihre Mutter unendlich froh wäre, dieses Haus bald verlassen zu können. Es war nie ihr Heim gewesen und die wenigsten Jahre, die sie und ihre Kinder hier verbracht hatten, waren glücklich gewesen. Wie verzweifelt war sie vor einem halben Jahr gewesen, als feststand, dass ihr Mann Robert ihr nichts als Schulden hinterlassen hatte und dass dieses Haus schon längst seinem Sohn aus erster Ehe gehörte, der nichts eiligeres zu tun gehabt hatte, ihr per Anwalt mitzuteilen, das Haus innerhalb eines Monats zu verlassen.
Phillip Richter, unbarmherzig wie sein Vater, interessierte es nicht, was aus seiner Stiefmutter oder Stiefgeschwistern wurde. Als Charlotte ihm gegenüber erwähnt hatte, was denn seine Wähler so kurz vor der Wahl davon halten würden, eine mittellose Frau einfach so auf die Straße zu setzen, hatte er zähneknirschend eingelenkt und ihnen erlaubt, ein Jahr dort wohnen zu bleiben. Er schien zu wissen, dass mit ihr nicht zu spaßen war.
Sebastian hatte als Erster eine Wohnung gefunden, eher ein kleines Appartement, das er im nächsten Monat beziehen wollte. Er wollte auf eigenen Füßen stehen, Charlotte konnte das gut verstehen. Theresa war zunächst sehr unglücklich darüber, hatte es aber dann doch akzeptiert. Charlotte und Theresa wollten aus Kostengründen vorerst zusammenbleiben, jedoch das geeignete Objekt und vor allem bezahlbar war schwierig zu finden.
Heiligenburg profitierte durch die Nähe zu Köln, die Mieten ähnelten denen in der Großstadt. Charlotte studierte Medizin in Köln, jobbte für ihren Lebensunterhalt in der Seniorenresidenz Sonnengarten und konnte es sich nicht leisten, alleine zu wohnen, und Theresa, die bis zum Tod ihres Mannes in seiner Firma angestellt war, bezog eine kleine Witwenrente und ein Job war nicht in Sicht.
„Lotte, Schatz.“ Theresa umarmte ihre Tochter so heftig, dass Charlotte beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. „Ich bin so glücklich, wir haben eine Wohnung, Lotte, ist das nicht toll?“
„Wir haben eine Wohnung? Wie, wir haben eine Wohnung?“
„Ja, endlich können wir dieses verdammte Haus verlassen. Ich bin so erleichtert und, du wirst es nicht glauben, ich habe einen Verehrer.“ Dabei strahlten ihre Augen, wobei Charlotte nicht ganz sicher war, ob der Wein nicht ein wenig dazu beigetragen hatte.
„Du kennst ihn. Weißt du noch, auf dem Flohmarkt? Der freundliche Mann, der Roberts Uhr gekauft hat“, stotterte Theresa. „Er kam zurück, als du wieder unterwegs warst. Wir haben uns richtig nett unterhalten.“ Sie schien verlegen, da sie sich abwandte und die Gläser aus dem Wohnzimmerschrank in Zeitungspapier wickelte.
„Ach, du meine Güte, meinst du Dieter Hoffstedt? Sind die Blumen etwa von ihm?“ Charlotte blickte in Richtung Esstisch und Theresa folgte ihrem Blick.
„Ja, ist das nicht fantastisch, und er hat auch schon mindestens dreimal angerufen. Er ist so aufmerksam.“
Charlotte kannte Dieter Hoffstedt nur vom Sehen, er wirkte sympathisch. Warum beschlich sie dennoch ein leichtes Unbehagen? Was wollte er von ihrer Mutter? Fand er sie attraktiv? Natürlich freute sie sich auch für Theresa, sie wollte sie glücklich sehen und vor allen Dingen selbstständig, denn sie konnte nicht den Rest ihres Lebens auf ihre sensible Mutter aufpassen.
„Ich habe ihm ein wenig von unserer Not erzählt.“ Theresa hob abwehrend die Hände. „Keine Angst, nicht alles, nur dass Phillip das Haus jetzt übernehmen will und wir quasi auf der Straße sitzen, und weißt du, was er da gesagt hat? Er hätte in dem letzten Haus am Kahnweiher eine Wohnung zu vermieten. Stell dir mal vor. Wir haben so viel Glück.“
Charlotte kannte das Haus, ein gepflegtes Hochhaus. Einige von ihr betreute Senioren lebten dort.
Ob ihre Mutter dort glücklich werden könnte, eine Frau, die ihr Leben behütet in schicken Einfamilienhäusern verbracht hatte? Aber sie durften weiß Gott nicht wählerisch sein. Nur der Gedanke, jemandem, den sie kaum kannte, wieder etwas schuldig zu sein, belastete Charlotte sehr. Doch sie sagte nichts, sondern lächelte Theresa nur an.
„Wir sind verabredet für heute“, sagte Theresa und schaute dabei auf ihre Armbanduhr. „Oh je, ich muss mich sputen. So kann ich mich ja schließlich nicht präsentieren. Könntest du vielleicht ein bisschen weiterpacken, Lotte? Das wäre so lieb von dir.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Zimmer und ließ eine nachdenkliche Lotte zurück.
In diesem Moment klingelte
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