Todesrennen
zu bestätigen, dass er zusätzliche Bewacher angefordert hatte, bis sie Frost geschnappt hätten. »Geht es Ihnen gut?«, fragte er abschließend.
»Ich steige auf«, sagte sie.
»Jetzt?«
»Fliegen verhilft mir zu einem klaren Kopf.«
»Müssen Sie nicht das Stück Stoff ersetzen, das Sie aus der Flugzeugbespannung herausgeschnitten haben?«
»Ich hab’s an keiner lebenswichtigen Stelle entfernt.«
Bell begab sich eilends dorthin, wo Eddison-Sydney-Martins Doppeldecker auf dem Erdboden aufgeschlagen war. Es war ein seltsamer Zufall, dass der Unfall des Engländers sämtliche Besucher in Belmont Park inklusive der Detektive ausgerechnet in dem Moment abgelenkt hatte, als Harry Frosts Schlägertruppe angegriffen hatte. Genau betrachtet konnte es eigentlich kein Zufall gewesen sein. Frost musste es irgendwie inszeniert haben.
Von weitem konnte Bell erkennen, dass die Farman kopfüber abgestürzt war und sich mit der Nase in die Erde gebohrt hatte. Der Rumpf ragte senkrecht in die Höhe wie ein Denkmal, nein, wie ein Grabstein des bedauernswerten Eddison-Sydney-Martin, der, wenn sich Bells Verdacht bewahrheiten sollte, Opfer eines Mordes und nicht eines Unfalls geworden war. Die Frau des Baronets stand neben dem zertrümmerten Doppeldecker. Ein hochgewachsener Mann mit einem Fliegerhelm auf dem Kopf hatte den Arm um sie gelegt, als wollte er sie trösten. Er rauchte eine Zigarette. Er beugte sich herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte.
Bell machte einen Bogen, damit er ihre Gesichter sehen konnte. Dieser Mann – das war Eddison-Sydney-Martin selbst. Er war totenblass, Blut sickerte in einem dünnen Rinnsal unter einem Verband über einem Auge hervor, und er stützte sich schwer auf Abby. Aber wunderbarerweise stand er auf seinen eigenen Füßen.
Bell blickte zu der zerschmetterten Farman hinüber und fragte: »Wer ist mit Ihrer Maschine unterwegs gewesen?«
Sir Eddison-Sydney-Martin lachte. »Ich fürchte, ich musste dieses Abenteuer bis zu seinem bitteren Ende auskosten.«
»Ich würde das ein Wunder nennen.«
»Die Rahmenkonstruktion hat die Eigenschaft, den Aufprall teilweise zu absorbieren – die Holz- und Bambuselemente geben auf Druck federnd nach, wenn Sie wissen, was ich meine. Solange man nicht aus dem Apparat herausgeschleudert wird und sich dabei das Genick bricht oder der Motor sich nicht aus seiner Halterung löst und einen zerquetscht, hat man eine reelle Chance, einen Absturz zu überleben. Nicht dass man auch für eine Riesenportion Glück dankbar sein sollte, wenn man es lebend überstanden hat, nicht wahr?«
»Es tut mir leid, dass Sie damit aus dem Rennen sind.«
»Ich bin gar nicht aus dem Rennen. Aber ich brauche sofort eine neue Maschine.«
Bell sah zu seiner Ehefrau hinüber und fragte sich, ob sie, da sie diejenige war, die die Schecks ausstellte, es wohl riskieren würde, ihren Mann wieder in die Lüfte aufsteigen zu lassen. Abby sagte: »Ein paar clevere Leute in New Haven experimentieren zurzeit mit einer Art ›kopfloser‹ Curtiss, in der einiges Potential stecken könnte.«
»Sie haben eine Lizenz von Breguet, die hervorragende Maschinen bauen«, fügte ihr Ehemann hinzu.
»Was ist schiefgelaufen?«, fragte Bell. »Warum ist sie abgestürzt?«
»Ich hörte einen lauten Knall. Denn pfiff ein Spanndraht an meinem Kopf vorbei. Sah so aus, als wäre ein Anker gebrochen. Und ohne Halt gab der Flügel nach und knickte dann weg.«
»Weshalb ist der Anker gebrochen?«
»Das ist ein großes Rätsel. Ich meine, bei einer Farman-Maschine findet man einfach keinen Pfusch.« Er zuckte die Achseln. »Meine Leute untersuchen das. Aber irgendwie gehört es auch dazu, nicht wahr? Unfälle passieren nun mal.«
»Manchmal«, gab Bell zu und fühlte sich in seiner Vermutung bestärkt, dass das Missgeschick des Engländers kein Unfall war. Er ging näher an das Wrack heran, wo Lionel Ruggs, der Chefmechaniker der Farman, Bauteile zusammensuchte, die weiter verwendet werden konnten. »Haben Sie den Draht gefunden, der gerissen ist?«, fragte er.
»Es gibt kaum noch etwas, das nicht beschädigt wurde«, erwiderte Ruggs. »Sie ist so hart aufgeschlagen, dass fast alles zersplittert ist.«
»Ich meine den Draht, der den Unfall ausgelöst hat. Der Baronet meinte, er habe gehört, wie sich ein solcher Draht löste.«
»Ich habe alles dort drüben hingelegt.« Ruggs deutete auf mehrere Drähte, die nebeneinander im Gras lagen. »Bisher habe ich keinen gefunden, der gerissen
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