Todesrennen
eventuelle Verkehrsstaus berücksichtigt hatte. Dichte Wolken schwarzen Kohlenrauchs wogten über dem Güterbahnhof. Hilfszüge stauten sich bereits und versuchten, den Belmont Park zu verlassen, um in Richtung Empire City Race Track in Yonkers zu dampfen. Die Gleise, die hinausführten, waren mit langen Schlangen dahinkriechender Züge besetzt, Lokomotive an Bremswagen, langsam und schwerfällig wie eine Prozession von Zirkuselefanten. Lokomotiven rangelten an den Weichen um die Vorfahrt, Maschinisten ließen schrille Dampfpfeifen kreischen, Bremser hasteten an den Zügen entlang, Fahrdienstleiter verschafften sich lautstark Gehör, und Zugschaffner rauften sich in einem lärmenden, von Qualmwolken umwaberten Ballett, das an jedem Morgen stattfinden würde, an dem die Aviatoren zu ihrer nächsten Flugetappe starteten, die Haare. Bells American-Eagle- Werkstattwagen-Express befand sich bereits in Yonkers, nachdem er schon gegen Mitternacht mit zwei Thomas-Flyer-Tourenwagen an Bord in Marsch gesetzt worden war.
Das Dach jedes einzelnen Güter- und Pullmanwagens war mit den Farben und dem Namen des jeweiligen Rennteilnehmers bemalt worden. Ein Rennteilnehmer konnte auf einen Blick erkennen, ob eine Lokomotive und Anhänger unter ihm zu seinem Versorgungszug oder dem eines Konkurrenten gehörten – oder ob es sich nur um einen ganz gewöhnlichen Güterzug auf einer Routinefahrt handelte.
Josephines fröhlich gelbe Wagenkette wurde von einer schnellen hochrädrigen Lokomotive des Typs Atlantic 4-4-2 gezogen. Whiteways luxuriöser Privatwagen war am Ende angehängt worden und von ihrem privaten Schlafwagen durch den Werkstattwagen, den Speisewagen, die Pullmanwagen für Mechaniker, Presseleute und Detektive sowie durch den Automobiltransporter mit Whiteways Rolls-Royce getrennt. Der Zug befand sich in Führungsposition. Dafür hatte Bell gesorgt, indem er ihn bereits vor Tagesanbruch hatte losfahren lassen. Zurück blieb nur ein elektrischer GMC-Umzugswagen mit einer zweiten Werkzeuggarnitur. Wenn alles wie geplant verlief, würde der Josephine Special bereits in Yonkers warten, wenn Josephine landete. Hoffentlich als Erste, dachte Bell, nachdem er weitere tausend Dollar in Johnny Mustos parfümierte Hand gedrückt hatte.
Zehn Meilen westlich vor den dahinkriechenden Zügen verdüsterte der Qualm von New York City den strahlend blauen Himmel. Die Wolkenkratzer der Wall Street ragten aus den Qualmwolken und markierten den Bereich, wo sich Lower Manhattan in den Hafen schob und die Wasserfläche teilte, von der aus Harry Frost seinen nächsten Angriff versuchen würde.
Bell hatte New Yorker Van-Dorn-Agenten unter der Führung von Harry Warren – und dirigiert von Staten-Island-Fährmann Eddie Tobin – auf dem East River, der Upper Bay und dem Hudson River auf jeweils einem schnellen Boot stationiert. Dank großzügig verteilter Geldspenden erhielten sie durch die Harbor Patrol des New York Police Department Unterstützung.
Er war sich schmerzlich bewusst, dass es nahezu unmöglich war, mit seiner über ein großes Gebiet verteilten Truppe zu kommunizieren. Hätte er eine solche Operation direkt vor Ort geleitet, so wäre er in der Lage gewesen, Befehle zu geben und per Telefon, Telegraf oder durch motorisierte Boten Berichte und Meldungen zu empfangen. Ein Marconi-Funkgerät, wie die U. S. Navy es für die Kommunikation zwischen Schlachtschiffen verwendete, wäre für die Koordinierung seiner weit verstreut operierenden und dünn gesäten Streitkräfte nützlich gewesen. Aber ein Drahtlosfunkgerät wog um einiges mehr als die American Eagle und war auf eine noch schwerere elektrische Stromquelle angewiesen, daher musste er sich auf die Aufmerksamkeit und den Einfallsreichtum der Detektive zu Wasser wie zu Land verlassen.
Die Startkanone wurde abgefeuert.
Isaac Bell konnte sie beim Lärm des Gnome-Motors zwar nicht hören, sah jedoch die weiße Wolke Pulverdampf aus ihrer Mündung wallen.
Um die Startreihenfolge festzulegen, waren Strohhalme gezogen worden. Der Erste, der über die Graspiste preschte, war Baumwollpflanzer Steve Stevens, dessen imposanter weißer Doppeldecker von V-8 Antoinettes angetrieben wurde, die mit Zwillingspumpen ausgestattet waren und damit dem Motor in Josephines Maschine glichen, jedoch größer waren. Dmitri Platow hatte sie eingebaut und scherzhaft zu den Mechanikern gemeint, dass sich das bessere Leistungs-/Gewichtsverhältnis durch die zu transportierende Masse des Baumwollpflanzers
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