Todesrennen
Augenblick der Gefahr eher schwierig im Gedächtnis zu behalten.
Der Zusammenprall von Fluss- und Seewinden, der ihn beinahe aus der Bahn geworfen hatte, erwies sich als ebenso hartnäckig wie gefährlich. Er erzeugte einen zweiten Strudel, der noch heftiger als der erste war und auch Josephine ergriff.
Bell erkannte, dass er Glück gehabt hatte. Er war von den Turbulenzen nur gestreift worden. Die volle Wucht der wild durcheinanderwirbelnden Winde traf Josephines Celere mit einer derartigen Kraft, dass sie völlig aus der Bahn geworfen wurde. Die Maschine legte sich schlagartig auf die Seite. Und innerhalb einer knappen Sekunde verfiel der Eindecker in eine unkontrollierbare Kreiseldrehung.
Während die Celere unter seiner Maschine wegsackte, beobachtete Bell, wie an ihrer linken Tragfläche ein Stück abbrach.
Festgehalten von Steuerdrähten, folgte ihr das Trümmerstück. Bell identifizierte es als ein alettone, eine ihrer beweglichen Steuerklappen. Dann rissen die Drähte, und die Klappe wirbelte davon wie welkes Laub im Wind. Wenn Bell selbst nicht soeben den gleichen Kampf gegen die Windböen überstanden hätte, wäre er auf den Gedanken gekommen, dass Harry Frost das Bauteil mit einer Kugel aus seinem Gewehr weggesprengt hatte. Aber diese Attacke auf Josephine war nicht die Tat eines Kriminellen. Hier zeigte sich die Natur selbst von ihrer schlimmsten Seite. Zwar nicht so bösartig, aber die Folgen wären mindestens genauso tödlich.
Josephine zögerte nicht. Geschwindigkeit!
Bell sah, wie sie sich nach vorn warf und das bescheidene Gewicht ihrer zierlichen Gestalt einsetzte, um die Steuersäule nach vorn zu schieben. Sie versuchte, die Nase nach unten zu drücken, so dass die Maschine vorwärts abstürzte anstatt seitlich. Gleichzeitig stellte sie das einzige verbliebene alettone auf, um das Trudeln zu stoppen.
Bell spannte jeden Muskel an, als könnte er das Überleben der Maschine allein mit der Kraft seines Willens sichern. Doch es erschien unabwendbar, dass die Kraft des Windes und der Verlust einer Steuerklappe sie trotz ihrer kühlen Beherztheit, ihrer blitzschnellen Reflexe und ihrer unendlichen Erfahrung in den Hafen stürzen ließen.
Rund um die Freiheitsstatue sah er einen hellen Schimmer über das Wasser huschen. Zuschauer auf unzähligen Booten wandten die Gesichter zum Himmel und in Richtung ihrer abstürzenden Maschine, Tausende von Gesichtern, totenblass vor Entsetzen.
Bell betätigte den Schnirpsknopf, schaltete den Motor aus, legte den Eindecker in einen steilen Gleitflug und stürzte in steilem Winkel hinter Josephines Maschine her, in dem Versuch, bei ihr zu bleiben. Er folgte einem natürlichen Drang zu helfen, eine Reaktion, so impulsiv wie letztlich doch sinnlos. Der Wind, der in den Spanndrähten sang, steigerte sich zu einem schrillen Kreischen, während die Eagle ihr Tempo steigerte.
Gut dreißig Meter über dem Wasser legte sich Josephines Aeroplan in eine scharfe Kurve, die sie auf Kollisionskurs mit dem von Säulen getragenen Podest der Freiheitsstatue brachte. Indem sich die Maschine waagerecht ausrichtete, steuerte sie direkt gegen den Wind, der stetig von Süden blies und alle Fahnen in eine Richtung wehte. Die Maschine sank weiter und stahl sich wackelnd links an der Statue vorbei. Sie versuchte zu landen, erkannte Bell mit aufflackernder Hoffnung. Offenbar steuerte sie einen Grasstreifen an, der zwischen den Mauern des sternförmigen Sockels und dem Wasser lag.
Die schmale Fläche erschien nicht größer als ein ländlicher Gemüsegarten, nicht länger als sechzig Meter und gerade eine doppelte Flügelspannweite breit. Doch während Bell seinen Gleitflug stoppte und den Gnome-Motor erneut startete, erkannte er, dass dieser bescheidene Platz alles war, was die Aviatrice brauchte. Die Räder berührten den Rand der grünen Grasfläche, und der Eindecker hüpfte, schlingerte und kam einen Schritt vom Wasser entfernt an der Inselspitze zum Stehen.
Josephine kletterte aus der Pilotenkanzel. Die Hände in die Hüften gestemmt, untersuchte sie die Tragfläche, wo der alettone abgebrochen war. Dann, indem sie die riesige grüne Statue imitierte, streckte sie den rechten Arm wie Lady Liberty in die Luft und winkte den Menschenmassen auf den Zuschauerbooten zu. Die bleiche Fläche entsetzter Gesichter explodierte geradezu zu einem begeisterten Flattern Tausender Taschentücher, die ihr Können und ihr Glück feierten.
Sobald Isaac Bell ein mit V markiertes Dampfboot der
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