Todesrennen
aus den Südstaaten kaum bemerkbar machen würde. Die Flugmaschine brauchte fast zweihundert Meter Anlauf, um vom Erdboden abzuheben. Eine wacklige Kurve beschreibend, umrundete sie den Startpfosten, wo ihre Abflugzeit von Weiner aus der Buchhaltung aufgezeichnet wurde. Als sie aber Kurs nach Westen nahm, tat sie das, wie es Bell erschien, mit überraschend hohem Tempo.
Army Lieutenant Chet Bass stieg als Nächster in der orangefarbenen Signal Corps Wright 1909 Military Flyer auf. Ihm folgte Joe Mudd in seinem Doppeldecker in »Revolutionsrot«. Nur Sekunden nachdem Mudd den Startpfeiler passiert hatte, raste Sir Eddison-Sydney-Martin in der »kopflosen« Pusher vorbei. Maschine für Maschine schwang sich in die Lüfte, wurde am Startpylon registriert und entfernte sich in Richtung Freiheitsstatue.
Josephine hatte den kürzesten Strohhalm erwischt. Sie startete also als Letzte, zog ihre Celere schon nach weniger als achtzig Metern hoch, ging gefährlich tief runter, um an Tempo für die Umrundung des Startpfeilers zu gewinnen, und raste dann – wie von einem Katapult abgefeuert – nach Westen. Bell flog über und ein wenig hinter ihr. Dabei sang er ein stummes Loblied auf Andy Moser, weil er den Gnome-Motor so gut abgestimmt hatte, dass er mit Josephines leistungsstarkem Antoinette leicht mithalten konnte.
Der Umfang seines Auftrags wurde ihm erst richtig bewusst und erschlug ihn fast, als er sah, wie sich die Landschaft veränderte und die freien Felder und Äcker der Farmen von Nassau unter ihm hinwegglitten, während er am Horizont dicht an dicht die Dächer von Brooklyn erkennen konnte. Alles bot sich meilenweit seinen Augen dar, aber nichts im Detail. Falls Harry Frost, geschützt und gedeckt durch die Kamine, die Taubenverschläge und die Leinen voll flatternder Wäsche, das Feuer eröffnete, dann wären hier in der Luft die ersten Hinweise auf einen Angriff Bleikugeln, die in Josephines Maschine einschlugen.
Oder in seine eigene, tröstete sich Bell grimmig, da die beiden Maschinen einander zum Verwechseln ähnlich sahen. Ein gewisser Trost war außerdem die Tatsache, dass sich der Kurs der Pilotin auf Grund von Luftströmungen und Windböen ständig änderte. Falls Frost sich einen Platz gesucht hatte, der eine Viertelmeile rechts oder links von der Flugroute lag, würden die gleichen Objekte, die ihm Deckung spendeten, auch sein Schussfeld einschränken. Umso wahrscheinlicher wäre es daher, dass der erfahrene Jäger vom Wasser aus angreifen würde.
Und das sah Bell, zehn Minuten nachdem Josephine gestartet war, in der Ferne funkeln.
Der Hafen von New York bot eine breite Schneise aus Flussläufen und Buchten, verstopft mit Schleppern und Fähren voller Menschen, die das Rennen verfolgen wollten, sowie mit flachen Schuten, Dampfern, schwarzen qualmenden Frachtschiffen, Viermastseglern, Fischkuttern, Austernkähnen, Ruder- und Motorbooten und Leichtern. Zu seiner Rechten sah Bell die Brooklyn Bridge, die sich über den East River spannte und Brooklyn mit Manhattan Island verband. Ein weißes Kriegsschiff, umringt von kleinen Schleppern, dampfte in Richtung Navy Yard. Andere Kriegsschiffe, neuerdings zur Tarnung grau gestrichen, waren Seite an Seite vertäut und wurden mit modernen Gittermasten ausgerüstet.
Unmittelbar vor Bell endete Brooklyn am Buttermilk Channel. Auf der anderen Seite des schmalen Wasserarms lag Governors Island. Ein Schnellboot, dessen Oberdeck mit einem aus weißem Segeltuch geformten V für Van Dorn gekennzeichnet war, patrouillierte in der Mitte der Wasserstraße. Hinter Governors Island erstreckte sich etwa eine Meile freie Wasserfläche bis zur Freiheitsstatue.
Das riesige grün patinierte, aus Kupfer gegossene Standbild erhob sich einhundert Meter hoch auf einem mit Granitplatten verkleideten Podest auf einem sternförmigen natürlichen Felsfundament, das Teil einer winzigen Insel namens Bedloe’s Island war. Ein weiteres mit einem V markiertes Boot der Van Dorn Agency kreuzte zwischen den Fährschiffen und den Schuten, auf denen offene Zuschauertribünen zusammengezimmert worden waren, und privaten Jachten, dicht besetzt mit Zuschauern, die Hüte und Taschentücher schwenkten.
Bell sah, dass Steve Stevens’ weißer Doppeldecker bereits den Wegpunkt umrundet hatte und den Hudson River hinauf nach Norden verschwand. Ihm folgte dichtauf Billy Thomas in seiner racinggrünen Curtiss Pusher. Vier andere Konkurrenten waren ihnen auf den Fersen. Joe Mudds roter Doppeldecker
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