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Todesriff

Todesriff

Titel: Todesriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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die Haie hungrig wurden - was also konnte es gewesen sein?
    „ Annabel!” Gordy stieß sie sanft mit dem Ellbogen an. „ Will st du nicht mal langsam weitermachen ?” Sie hatte die Menschen um sich herum völlig vergessen.
    „ Sicher!”, antwortete sie hastig und nahm das Mikro. Nach einer kurzen Begrüßung und der Einladung, bei Tee und Gebäck zuzugreifen, wiederholte sie Verhaltensregeln, die sie im Schlaf hätte aufsagen können, erklärte, dass Zyklone und starker Wellengang Korallen abbrächen und wegrissen und dass dadurch die Geografie des Riffs ständig verändert werde.
    „ Trotzdem besteht das Riff fort, weil es ein lebendiges, sich selbst wiederherstellendes Gebilde ist. Teile des Great Barrier Reefs sind ungefähr tausend Jahre alt. Es ist das größte organische Bauwerk aller Zeiten, die Schöpfung von Millionen und Abermillionen lebendiger Organismen !” Das sagte sie besonders gern, da es bei den meisten Touristen ein Gefühl der Ehrfurcht hervorrief und sie aufmerksamer machte.
    „ Allerdings, Dynamitfischerei wie in Südostasien oder Fischerei mit Giften tötet die Korallenpolypen unwiderruflich ab. Übrig bleibt ein totes steinernes Gebilde. Tot für Hunderte von Jahren.” Sie ließ den Blick über die Gesichter schweifen. „ Also , bitte brechen Sie keine Korallen ab, achten Sie auch darauf, mit den Schwimmflossen genügend Abstand zu halten, berühren Sie keine Fische oder Pflanzen – viele sind giftig oder beißen. Füttern sie die Fische nicht. Machen Sie sich klar: Sie sind nur ein geduldeter Besucher.”
    Die meisten Touristen nickten.
    „ Und was ist mit Haien?”, fragte eine hagere Frau mit
englische
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Akzent. Genau, auf diese Frage hatte sie gewartet. Sie lächelte.
    „ Die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz getroffen zu werden, ist doppelt so hoch wie die, von einem Hai getötet zu werden. Und die Gefahr, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, ist dreitausend Mal so hoch.”
    Einige lachten erleichtert.
    „ Haie greifen normalerweise Menschen nicht an.” Dass sie wegen der Überfischung der Weltmeere hungriger und dadurch aggressiver wurden, erwähnte sie nicht. Auch nicht ihr eigenes Erlebnis und die Tatsache, dass sie im Moment zum ersten Mal so etwas wie Angst vor der blauen Tiefe empfand, in die sie jetzt gleich hinuntersteigen würde.
    Der Skipper drosselte die Fahrt. Nur noch ein halber Kilometer trennte sie vom Korallenriff. Schließlich stellte er den Motor ganz ab, machte an der Boje fest. Vom Boot konnte man auf den sandigen Grund hinabsehen. Schatten kleiner Fische huschten darüber. Weiter weg kräuselte sich Schaum. Dort ritzten die Spitzen der Korallen die Wasseroberfläche. Es war Ebbe.
    Annabel wartete, bis a lle im Wasser waren, dann würde auch sie hinabsteigen. In diesem Moment verdunkelte ein großer Schatten den weißen Korallensand. Sie erschrak, dann merkte sie, dass es eine Wolke war, die sich vor die Sonne schob. Dabei war der Himmel eben noch wolkenlos gewesen. Jetzt mal ruhig, Annabel, sagte sie sich.
    Sie setzte gerade die Taucherbrille auf, als ein Taucher an die Oberfläche kam und sich den Atemregler aus dem Mund riss. Er schrie: „ Da unten! Eine Taucherweste!”

16
    Die schwarzen Gläser der Sonnenbrille schützten ihn nicht nur vor dem Tageslicht, das er immer schwerer ertrug, sondern auch vor den Blicken anderer Menschen und seinem eigenen Anblick in den Schaufenstern und den überall lauernden Spiegelflächen. Selbst beim Zähneputzen vermied er es, sich im Spiegel anzusehen. Wenn es doch geschah und er seinen eigenen Augen begegnete, zuckte er zusammen und wandte sich ab, so fremd erschien er sich selbst. Dabei konnte es nicht nur an dem Bart liegen, den er sich hatte wachsen lassen.
    Man könnte ihn für einen ganz normalen Weltenbummler halten, und für Momente glaubte er es sogar selbst, wenn er wie jetzt durch die Queen Street Mall schlenderte, die große Einkaufsstraße mitten in Brisbane City. Er musste die Wartezeit totschlagen, und im Motel hielt er es nicht mehr aus. Er fand sich in einer Halle wieder, in der sich ein Essensstand an den anderen reihte. Türkischer Kebab, italienische Lasagne, japanische Sushi, vietnamesische Suppen, Hamburger, Pommes Frites, Salate, Sandwiches - die verschiedenen Gerüche drangen ihm in die Nase und ließen
wieder
die Übelkeit in ihm aufsteigen. Er floh
hinaus auf die Straße und entdeckte ein Telefon. Die Nummer kannte er auswendig. So oft hatte er sie in den letzten Stunden

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