Todesriff
ziehen. Anschließend schlitzte er den Fischbauch auf, bohrte den Zeigefinger in die Höhle und zog Darm und bräunlich rote Innereien heraus. Auf einmal hielt er inne starrte auf das blutverschmierte Brett. Dort lag neben dem aufgeschlitzten Fisch das kleine, blutige Fischherz. Es schlug. Tack-tack, tack-tack, tack-tack. Er legte das Messer hin und ging mit steifen Schritten in die Kajüte un d warf die Tür hinter sich zu. Das winzige Brassenherz schlug noch immer. Tack-tack, tack-tack, tack-tack. S ie hatte das schon oft gesehen.
Als sie in die Kajüte trat, saß er vornübergebeugt im Sessel, den Kopf in den Händen vergraben.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte sie. Er atmete schwer und endlich sagte er: „ Im Vietnamkrieg erschoss ein amerikanischer Soldat einen Vietkong aus nächster Nähe. Der Vietkong war direkt vor ihm aus dem Gebüsch aufgetaucht. Er hatte ein Maschinengewehr im Anschlag. Der amerikanische Soldat dachte nicht nach, sondern drückte sofort ab.” Sei ne Stimme klang fremd und hart. “ Es war ein Feind, da gab es nichts zu überlegen. Er traf ihn, genau ins Herz. Der Vietkong war gleich tot. Der amerikanische Soldat ging zu dem Toten, dessen Jacke aufgeschlagen war, und er sah, dass etwas in der Innentasche steckte. Er bückte sich und zog es heraus. Es war ein Foto, das ein e Frau und zwei Kinder zeigte.“
Ann abel wartete, doch er schwieg.
„ Und weiter?”, fragte sie schließlich.
„ Weiter?” Er verzog sein Gesi cht zu einem bitteren Lächeln. „ Weiter?” Er stand auf, ging ein paar Schritte u nd drehte sich dann zu ihr um. „ Je fremder der Feind erscheint, desto leichter ist es, ihn zu töten. Nur das Ähnliche berührt dich.”
Das Geräusch des an die Bordwand schwappenden Wassers war das Einzige, was sie hörte. „ U nd das Fischherz”, begann sie, „ das schlug wie ...?”
Er wandte sich schroff ab.
„ Was willst du eigentlich von mir? Wenn du einfach ein bisschen Spaß willst, dann such dir einen anderen!” Mit verzerrtem Gesicht stapfte er zur Tür hinaus und knallte sie hinter sich zu.
Für einen Moment war Annabel sprachlos, dann stieg Wut in ihr hoch, und sie stürzte nach draußen. Er stand an der Reling und starrte mit finsterem Gesichtsausdruck aufs Wasser. Sie riss ihn an der Schulter herum.
„ So, Steve, jetzt hab ich auch mal was zu sagen. Und hör mir gut zu! Ich weiß nicht, was mit dir los ist, was du Grausames erlebt hast, aber ich sehe nicht ein, dass du mit mir so umgehst !”
Möwen kreischten über ihnen, die Wellen waren stärker geworden, das Boot schaukelte. Er erwiderte noch immer nichts . Endlich rührten sich seine Augen wieder. Sie wurden schmal und hart und sie erwartete, dass er sie wie vorhin grob anfassen und brüllen würde. Doch plötzlich fiel etwas in ihm zusammen, er wandte sich ab und sagte leise: „Du kannst mir nicht helfen.”
„Aber ich hab das Recht auf eine Antwort!”
Er schüttelte langsam den Kopf. „ In deiner Welt mag es vielleicht Rechte geben. Ich kenne eine Welt, da besteht das einzige Recht im Töten.” Er sah sie mit seinen dunkelblauen Augen eindringlich an.
„ Und was willst du dann von mir? Warum hast du heute Morgen an meinem Auto gewartet? Ich habe dich nicht darum gebeten!” Sie kochte vor Wut. Er schien nach einer Antwort zu suchen un d blickte in den Himmel hinauf und sagte dann: „ Der Wi nd ist schon stärker geworden. Wir sollten zurückfahren.“
Ein paar Sekunden blieb sie noch stehen, unentschieden was ihre Gefühle anging, dann stieg sie die Stufen zur Brücke hinauf und startete die Maschinen. Schnell gewann die Yacht an Fahrt. Sie beschloss, ihn nie wieder zu treffen. Z urück im Hafen, ging er von Bord, ohne sie noch einmal anzusehen.
32
Es hatte Shane nicht
besonders
überrascht, dass Al wegen der Informationen, die sie zusammengetragen hatten, sich nicht
übermä
ß
ig begeistert
zeigte . Ein Nicken und der Hinweis darauf, dass ein nächster Mord unter allen Umständen zu vermeiden sei, war alles gewesen.
Jetzt saß er wieder am Schreibtisch und betrachtete das Phantombild, das nach Angaben des Werftarbeiters John Palmer angefertigt worden war. Es zeigte einen Mann etwa Ende vierzig mit Bart und dunklem Haar, das an den Schläfen zurücktrat und leicht ergraut war. Die braunen Augen blickten seltsam dumpf. Palmer hatte den Mann auf einsachtzig geschätzt. Man hatte das Bild an alle Po lizei eistationen gesendet, und Detective Spencer Dew war unterwegs, um die
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