Todesriff
Fünf-Kilometer-Strecke zu joggen. Sie führte die Straße hinunter zum Hafen, dann n ach links durch die Anlage des Sheraton Mirage Resort und wieder zurück. Die Sonne war gerade aufgegangen, und über dem Meer schwebte eine leichte Dunstschicht. Annabel liebte diese Tageszeit, wenn di e Papageien laut zeterten, die Kook aburras ihr typisches Kreischen ausstießen, die Zikaden zirpten, wenn die Luft noch feucht und die Temperatur angenehm war und wenn die Sonne orangefarben und dampfend aus dem Meer aufstieg.
Als geübte Läuferin fand sie gleich ihren Rhythmus und trabte leichtfüßig unter den dichten dunkelgrünen Blätterdächern die Straße hinunter zum Hafen. Gerade bog sie in die Davidson Street ein, als sich von hinten ein röhrendes Motorengeräusch näherte. Aus ihrem meditativen Zustand aufgeschreckt, hatte sie kaum Zeit, sich umzuwenden, als das Auto auch schon auf sie zu
fuhr
. Die Karosserie streifte sie fast, als sie sich
re flexartig rückwärts in die Böschung fallen ließ. Der Wagen quietschte und geriet ins Schlingern, bremste abrupt und setzte dann in enormem Tempo bis zu der Stelle zurück, an der Annabel in der Böschung verschwunden war. Sie rappelte sich auf
und sprintete durch die Anlage des Resorts in Richtung Strand. Sie keuchte, bekam kaum noch Luft, ihr Herz hämmerte
hart gegen die Rippen
. Jemand wollte sie töten! Da hörte sie ein weiteres Motorengeräusch. Als sie
sich umdrehte
,
sah sie ein Auto entgegenkommen. Ihr Verfolger bog blitzartig in die nächste Seitenstraße ein.
Annabel blieb stehen, ihre Lungen schmerzten, ihre Kehle brannte
.
Das war zweifellos Absicht gewesen. Jemand wollte sie umbringen. Es war ein dunkelroter Nissan gewesen. Sie war sich sicher. Mit so einem Wagen waren Steve und Nick vom Hafen weggefahren. Ein Bild hatte
Annabel
konsequent aus ihrer Erinnerung verdrängt, jetzt ließ es sie nicht mehr los: Als sie aus dem Wasser aufgetaucht war, hatte Steve die Pistole auf sie gerichtet - nicht auf die Haie. Und die Sache mit dem Sauerstoffventil war a uch kein Zufall gewesen. Aber warum wollte man sie töten? Und was hatte Steve damit zu tun ? Greg hatte einen Campingplatz erwähnt , wo er wohnte ...
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Als Shane die Tür des Papillon aufstieß, dröhnte ihm Heavy Metal Musik entg egen. Er stand in einem engen rot-schwarz gestrichenen Raum, dessen Wände mit allen erdenklichen und tätowierbaren Motiven und Symbolen beklebt waren. Ein martialisch aussehender Enddreißiger mit langer Mähne und ganz in Leder gekleidet, der aus einem Fantasyfilm stammen könnte, hatte gerade einem glatzköpfigen Typen einen Skorpion auf die linke Schulter tätowiert . Tamara hatte zugesehen.
„ Das wollte ich schon immer. Ich hab mich nur nie getraut! Das ist übrigens Ken.” Sie musste gegen den Lärm aus den Boxen anschreien.
Auch noch Ken, dachte Shane, wie Barbies Mann.
Der Fantasy-Ritter unterbrach seine Arbeit und hob grüßend die Hand . Seine blonde Mähne wehte im Wind des Ventilators. U naufgefordert stellte er die Musik ab. „ Deine Kollegin hat mir zwei Fotos gezeigt. Einer von denen war tatsächlich hier. Vor `nem halben Jahr vielleicht.”
„ Es war Andrew - der so genannte Andrew”,
sagte
Tamara . „I ch war i n siebzehn Läden. Hier hatte ich Glück.”
„ Der Typ wollte sich aus seinem Tattoo ein anderes machen lassen. Hat behaup tet, er könnte es nicht mehr sehen. ”
„ Was war das für ein Motiv?”, fragte Shane.
„ Ich nehme mal an, dass es ein Adler sein sollte. Sah aber eher wie ein Suppenhuhn a us.” Ken zuckte die Schultern. „ Ein Adler mit zwei Köpfen, der auf einem Gewehr sitzt. Ich hab ihm geraten, es lieber beim Hautarzt entfernen zu lassen.”
„ Warum? Sie hätten doch einen Job gehabt.”
Der Mann schüttelte
energisch
die blonde Mähne und erwiderte: „ Ich habe einen künstlerischen Anspruch. Und was ich da vor mir gesehen habe, das war so
mies
gemacht, dass jede weitere Arbeit daran so etwas gewesen wäre, wie Perlen vor die Säue zu werfen.”
Tamara lächelte . „ Ken hat eben Stil .”
„ Hat er einen Namen genannt?”, wollte
Shane
wissen.
Ken schüttelte den Kopf. „ Nein, aber unter dem Gewehr stand noch was.”
„ Was?”
„ SCANDALBURG oder so. Etwas in der Richtung.
“
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Der Campingplatz in der Reef Street erstreckte sich zwischen einem Zuckerrohrfeld und einer kleinen Grünanlage, in der vereinzelt Bäume angepflanzt worden waren. Annabel parkte vor der heruntergelassenen
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