Todesritual: Thriller (German Edition)
passende Marionette als Präsidenten installiert hatten und ›freie und demokratische‹ Wahlen abgehalten worden waren.
Vanetta nutzte ihre Kontakte hier, um diesen haitianischen Flüchtlingen eine Alternative zu bieten. Sie konnten nach Kuba kommen, statt in ihre Heimat zurückzukehren. Man traf eine geheime Vereinbarung mit der Clinton-Regierung, und in den folgenden Monaten gab es Bootstouren von Mariel nach Miami und wieder zurück, und wer herkommen wollte, durfte mitfahren. Jeden Monat trafen um die hundert Menschen ein.«
»Was hatte Castro davon? Wenn es geheim war, konnte er es doch nicht für seine Propaganda nutzen«, sagte Max.
»So lautete die Vereinbarung, die er mit Clinton getroffen hatte, richtig. Trotzdem hätte er der Welt natürlich irgendwann erzählt, wie gut er zu den haitianischen Flüchtlingen gewesen war, dass er sie aufgenommen hatte, als Amerika sie nicht wollte. Sie wissen ja, wie das läuft.« Pinel lächelte. »Aber der Schuss ging nach hinten los. Erinnern Sie sich an die erste Mariel-Bootskrise?«
»Natürlich.« Max nickte. Ja, auch daran erinnerte er sich – nur zu gut. Von 1977 bis 1980, als in den Beziehungen zwischen den USA und Kuba Tauwetter herrschte, erlaubte Castro 125 000 Kubanern die Ausreise, um zu ihren Familienangehörigen in Miami zu ziehen. Sie stachen in einer Flottille aus überfüllten, leckenden Booten von Mariel aus in See. Aber dieser Akt des Großmuts hatte einen versteckten Haken: Castro nutzte die Gelegenheit, zusammen mit den Auswanderern auch den Abschaum aus den Gefängnissen und Psychiatrien seines Landes loszuwerden. Ungefähr 20 000 Kriminelle und Psychos durchliefen die Einreiseprozedur der USA und wurden auf eine ahnungslose Bevölkerung und eine völlig unvorbereitete Polizei losgelassen. Miami, wo schon längst der Kokain-Krieg tobte, drohte auseinanderzubrechen. Es war ein Albtraum, der reinste Horror.
»Die Clinton-Regierung hatte die Idee, sich dafür an Castro zu rächen«, sagte Pinel. »Sie hatten schon länger amerikanische Gefängnisse von haitianischen Kriminellen gesäubert und sie sang- und klanglos per Flugzeug in ihr Heimatland verfrachtet. Manche von denen wurden nun auf die kubanischen Boote umgeleitet. Die haben uns ein paar echte Monster geschickt.«
»Meine Güte.« Max musste sofort an Solomon Boukman denken. »Wie viele?«
»Keine Ahnung. Mitte der Neunziger hatten wir hier eine kurze, aber unvergessene Kriminalitätswelle. Morde, Raubüberfälle, Vergewaltigungen. Überfälle auf Touristen. Natürlich wurde das vertuscht. Die Bootsfahrten wurden eingestellt, die meisten Kriminellen aufgespürt und auf der Stelle getötet. Aber nicht alle. Ein paar von ihnen sind in die kubanische Unterwelt abgetaucht.«
»Der Abakuá?«
»Ganz genau. Die haben die Creme dieses Abschaums rekrutiert.«
»Und deshalb hat sich Castro mit Vanetta überworfen, weil er ihr die Schuld daran gegeben hat?«
»Nein. Sie haben sich zerstritten, weil Vanetta angeblich ein paar dieser Kriminellen geholfen hat, der kubanischen Polizei zu entkommen.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Sie hat mir das alles nicht selbst erzählt. Ich habe Gerüchte gehört. Vielleicht stimmt es nicht.«
»Hatte sie Kontakte zum Abakuá?«
»Jeder hat Kontakte zu denen. Auf die eine oder andere Art, ob man will oder nicht«, sagte Pinel. »Es gibt noch ein Gerücht – und das ist wahrscheinlich glaubwürdiger –, das besagt, dass sie das Caille Jacobinne finanziert haben.«
»Wirklich?«
»In der Sonderperiode lief in diesem Land gar nichts . Nur das Caille Jacobinne. Damals kamen immer noch haitianische Flüchtlinge an, um sich hier niederzulassen. Ich vermute, dass Castro herausgefunden hat, woher das Geld dafür stammte, und dass seine Freundschaft zu Vanetta damit beendet war.«
Max erinnerte sich an Rosa Cruz’ Worte über die komplizierten Allianzen, die Brown geschmiedet habe.
»Waren Sie überrascht, als Sie das alles hörten?«
»Eigentlich nicht.« Pinel schüttelte den Kopf. »Wir leben in Kuba, Mr. Mingus. Nichts ist so, wie es scheint, und keiner ist das, was er zu sein vorgibt. Das gehört zum Charme dieses Landes. Sie werden sich noch dran gewöhnen.«
34
Max verließ Pinels Haus kurz vor Sonnenuntergang, unter einem sich rötenden Himmel, das Zirpen der Grillen in den Ohren. Der alte Mann riet ihm, der Avenida 5ta zu folgen, mit dem Boot über den Almendares nach Vedado überzusetzen und den Malecón entlang zu seinem Hotel zu laufen. Ein
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