Todesritual: Thriller (German Edition)
fortsetzen konnte.
Er hörte die Kneipe, bevor er sie sah, an der Ecke einer Seitenstraße, die auf den Malecón traf. Die laute Musik übertönte den Verkehr und die Wellen, nicht Salsa oder Jazz, sondern ein Lied, das er vor Jahren zuletzt gehört hatte – »Skin Trade« von Duran Duran, einen Song, den er sehr gemocht hatte, bis er erfuhr, von wem er war. Er hatte ihn fälschlicherweise den späten Chic oder Prince in seinen besten Zeiten zugeschrieben.
Aber er hätte den Laden ohnehin nicht übersehen können. Die Eingangstür wurde flankiert von beleuchteten Weihnachtsbäumen, und in den mit Schneespray dekorierten Fenstern blinkten Lichterketten. Max blieb stehen und gaffte.
Auf der anderen Straßenseite standen ein paar Männer und Frauen neben einem Super 88, in dem schwachen Licht waren nur ihre Umrisse und das metallische Glitzern der kurzen Paillettenkleider der Frauen zu erkennen. Max roch ihr Parfüm und Zigarettenrauch, dann Abwasser und einen Hauch von Jasmin, der von der Straße kam.
Die Kneipe nannte sich La Urraca – was auch immer das heißen mochte. Er war durstig und verschwitzt und musste dringend aufs Klo, und so beschloss er hineinzugehen.
Es war so gut wie leer, die einzigen Gäste ein Mann und eine Frau, die am Ende der Bar eng beieinanderstanden und sich unterhielten. Der Barmann – in roter Hose mit Hosenträgern und weißem T-Shirt – musterte Max, als er hereinkam.
Das Weihnachtsmotiv setzte sich drinnen fort, nur noch schlimmer: Goldenes Geschenkpapier mit roten Samtschleifen als Tapete, goldenes und silbernes Lametta an der Decke, an einer Wand zwei Schnüre mit verstaubten Weihnachtskarten, gegenüber ein Adventskalender mit offenen Türchen, ein Gemälde vom Weihnachtsmann, der, von einem Rentier gezogen, in seiner Kutsche über den Nachthimmel brauste, und in der Ecke noch ein vollständig dekorierter Weihnachtsbaum, unter dem ein Berg von Geschenken lag. Die laute Musik ließ die gesamte Deko beben.
Ein reichlich seltsamer Anblick.
»Agua mineral, por favor«, bestellte Max.
»No agua.« Der Mann schüttelte den Kopf und hob den Blick zu der Reihe schlichter brauner Flaschen auf dem Regalbrett über ihm, die keinerlei Hinweis auf ihren Inhalt gaben. Er hatte schütteres, rotblondes Haar, fast durchsichtige Wimpern, tiefblaue Augen und das rote Gesicht des Ganztagstrinkers.
»Usted tiene una soda?«
»Qué?«
» Soda: Coca Cola, Sprite?«
Der Barmann sah ihn mit ausdrucksloser Miene an.
»Habla inglés?«
»No.«
Max schaute zu dem Pärchen. Die Frau stand mit dem Rücken zu ihm. Sie war über eins achtzig groß und sehr schlank, und ihr langes, glänzend schwarzes Haar reichte ihr fast bis zum Po. Sie trug ein kurzes goldenes Kleid, hochhackige Schuhe und schwarze Nahtstrümpfe mit einem kleinen goldenen Schmetterling auf den Fesseln. Der Mann war kleiner und eher untersetzt. Er trug Jeanshemd und Jeanshose. Beim Sprechen fuchtelte er aufgeregt mit den Händen. Trotz der Musik konnte Max seine Stimme hören, sein Tonfall klang wütend. Die Frau stand vollkommen reglos da.
»Toilette?«, fragte Max den Barmann, woraufhin dieser mit einer Kopfbewegung auf eine Tür zu seiner Rechten deutete.
Bis zum Klo, einer engen Kabine mit verdreckter, verstopfter Toilette und einer kaputten Kette, die von der rostigen Zisterne baumelte, setzte das Weihnachtsmotiv sich nicht fort. Es stank so heftig, dass Max den Atem anhielt und nicht nach unten schaute, sondern den Strahl nach Gehör lenkte und dabei die Schmierereien an den Wänden betrachtete: Adressen, Telefonnummern, Namen von Frauen und Männern, Zeichnungen von Sex in Hundestellung und Schwanzlutschen.
Als er zurückkam, war die Musik noch lauter geworden, der Sound verzerrt, Duran Duran sangen irgendetwas über Ärzte und die revaloootion baybeey .
Auf dem Tresen wartete ein Glas mit etwas Klarem und Sprudeligem auf ihn.
Max wollte es nicht, was immer es war. Er steckte die Hand in die Hosentasche, zog einen Zehn-Peso-Schein heraus und schob ihn über den Tresen. Der Barmann nahm das Geld und deutete auf das Glas.
Max setzte gerade zu einer Entschuldigung und einem Abschiedsgruß an, als er den trockenen Schlag hörte, gefolgt von einem kurzen, durchdringenden Schrei. Er drehte sich um und sah die Frau in Richtung Tür stolpern. Sie hielt sich das Gesicht, der Mann schrie und wollte ihr nachsetzen. Dann bemerkte er, dass Max ihn ansah, und blieb stehen, wo er war.
Sie sahen sich in die Augen. Der Mann sah
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