Todesritual: Thriller (German Edition)
Anweisungen hinterlassen. Ich habe einen Brief von ihm für Vanetta, den ich persönlich übergeben soll.«
»Was steht drin?«
»Das weiß ich nicht. Er ist versiegelt.«
»Sie haben ihn nicht geöffnet?«
»Joe Liston wird immer mein Freund sein.«
Pinel trank seinen Kaffee, sah Max in die Augen und schluckte an der Lüge, bis er sie ganz verdaut hatte. Schließlich zeigte er lächelnd noch einmal seine Leopardenzähne. »Wussten Sie, dass er ein Schwarzer Jakobiner war?«
»Ja.«
»Soweit ich weiß, hat er ihr bei dem Buch geholfen.«
»Wie?«
»Mit den Recherchen. So hat sie es mir erzählt. Ich habe allerdings nie genauer nachgefragt. Ich war nur an dem fertigen Werk interessiert«, sagte Pinel.
»Wie war ihre Beziehung?«
Pinel zog die Stirn in Falten.
»Waren sie Freunde oder ein Paar?«, hakte Max nach.
»Ich hatte nie den Eindruck, dass sie Liebhaber waren.« Pinel lächelte. »Die Intuition des Veteranen.«
»Wann haben Sie Joe das letzte Mal gesehen?«
»Vor eurem 9/11. … also im Jahr 2000.«
»Worüber haben Sie so geredet?«
Pinel zog noch eine Zigarette aus der Schachtel und klopfte sie auf den Tisch. »Ihr Freund war fasziniert von unserem Land, insbesondere von der Beziehung zwischen Fidel Castro und den Schwarzen hier.
Als Castro an die Macht kam, hat er Rassendiskriminierung verboten. Das war eine seiner ersten Amtshandlungen. Kuba war lange vor euch ein Land der Chancengleichheit. Vor Castro waren die Schwarzen Bürger zweiter Klasse gewesen. Es gab damals ein Sprichwort: › Si tu ves a un doctor negro, es el mejor doctor de Cuba‹ , was heißt: ›Wenn du einen schwarzen Arzt siehst, ist das der beste Arzt Kubas.‹ Mit anderen Worten: Ein Schwarzer musste fünfmal so hart arbeiten wie sein weißer Konkurrent. Nur sehr gut zu sein reichte nicht. Ein schwarzer Kubaner musste der Beste sein.
Castros Eintreten für die Schwarzen hatte zu drei Vierteln politische und ideologische Gründe, der Rest war persönlich. Als er in den Bergen die Revolution begann, waren viele seiner Unterstützer arme Schwarze. Sie gaben den Guerillas Unterschlupf und Nahrung und schlossen sich ihnen an. Daraus ist eine starke Verbindung gewachsen. Sie hatten den gleichen Feind. Die Schwarzen waren – und sind – Castros Basis. Sein Fundament.«
»Hat er deshalb so vielen Black Panthern Asyl gewährt?«
»Auch, ja«, sagte Pinel. »Natürlich wusste er, dass das Kriminelle waren. Er ist weder dumm noch naiv. Aber damals war der Kalte Krieg in vollem Gange, und linke Schwarzamerikaner aufzunehmen, bedeutete, den Imperialisten jenseits des Meeres den Finger zu zeigen.«
»Und wie stehen Sie zu den Panthern? Sie haben viele ihrer Autobiographien veröffentlicht.«
»Leider ja«, seufzte Pinel.
»Warum leider?«
»Ich hatte große Ambitionen. Ich dachte, ich würde einen zweiten George Jackson oder Malcolm X entdecken. Aber dem war nicht so. Ihre Geschichten waren alle gleich. Schlechte Blaxploitation. Der Held ist immer der – oder die – arme, unterdrückte Schwarze, und der Böse ist immer ›der Mann‹: weiß, Rassist und an der Macht. Der Held ist unschuldig, er hat den Polizisten, den Bankangestellten oder den Ladenbesitzer nicht erschossen, trotzdem muss er fliehen, weil er nicht auf einen gerechten Prozess hoffen kann, weil nämlich ›der Mann‹ das Rechtssystem beherrscht. Und es endet auch immer gleich: hier in Kuba. Der Held wird verbittert. Am Anfang ist er einfach nur dankbar für seine Freiheit, aber dann muss er in diesem seltsamen Land leben, mit der Geheimpolizei, der erzwungenen Armut, den Lebensmittelrationen, der ewigen Knappheit, wo es keine Ghettos und keine Redefreiheit gibt. Der Held ist verwirrt. Er ist kein Opfer mehr. Er lebt in einem Land voller Opfer.« Pinel kicherte und blies den Rauch durch die Fenstergitter nach draußen.
»Das klingt sehr abfällig«, bemerkte Max.
»Ach, das bin ich wohl. Die Arbeit mit diesen Menschen hat mich fertiggemacht, ich musste in den Ruhestand gehen. Sie glaubten, ihre Bücher würden sich zu Tausenden verkaufen und ich würde sie über den Tisch ziehen. In Wahrheit haben sie sich kaum verkauft. Aber was wussten die schon, und was kümmerte es sie? Sie haben mir nicht geglaubt. Am Anfang war ich der französische Bruder und am Ende der böse weiße Dieb.«
Er leerte seine Tasse. Max nahm einen Schluck aus seiner. Dies war der beste Kaffee, den er in Kuba bisher getrunken hatte, und er rechnete nicht damit, einen besseren zu
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