Todesritual: Thriller (German Edition)
standen schweigend da und schauten sich tief in die Augen, jeder wartete, dass der andere irgendeinen ersten Schritt tat. Benny lächelte, soweit seine genähte Wange es zuließ. Savóns Ausdruck schwankte zwischen Abneigung und Traurigkeit. Max stellte Vermutungen an, was zwischen den beiden vorgefallen sein mochte. Bennys Körpersprache entlarvte ihn als den unzuverlässigen Liebhaber, der niemals anrief oder sich blicken ließ, wenn er es versprochen hatte, monatelang von der Bildfläche verschwand und erst dann wieder aufkreuzte, wenn er ernsthaft in Schwierigkeiten steckte, mit eingeklemmtem Schwanz und einem reuevollen Spruch auf den Lippen, und beteuerte, das werde alles nie wieder vorkommen. Fehlte nur der billige Blumenstrauß in Plastikfolie, und er würde die Rolle kriegen. Savón war der Idiot, der ihn immer wieder aufnahm und schwor, es sei das allerletzte Mal … bis zum nächsten Mal.
Savón unterbrach das Blickduell, um Max anzuschauen, den er bis dahin nicht weiter zur Kenntnis genommen hatte. Er hatte kleine vorquellende Augen, die fast komplett schwarz waren, und eine rötliche Gesichtsfarbe. Max glaubte eine flüchtige Ähnlichkeit mit einer zornigen Krabbe zu erkennen, die der obersten Stufe der Nahrungskette von der Gabelspitze aus noch einen letzten wütenden Blick entgegenschleuderte. Er trug ein braunes Baumwollhemd, wadenlange Khakishorts, weiße Socken und schwarze Reeboks mit dicken luftgepolsterten Sohlen, die wie kleine Luftkissenboote aussahen. Die Shorts hingen ihm kurz über den Hoden, die Schnürsenkel waren offen. Normalerweise verachtete Max Männer, die sich anzogen, als wären sie halb so alt, er hielt sie für unreife Narzissten oder narzisstische Päderasten.
»Quién es?«, fragte Savón Benny.
»Le llaman Max.«
»Extranjero?«
»Sí. Americano. No es mi novio.«
»Tu chulo?«
»Vete a singar!«, sagte Benny.
Savón öffnete die Tür und winkte sie mit einer Handbewegung und einem resignierten Murren herein.
Sie folgten ihm in einen Flur, der kalt und sauber war wie ein nagelneuer Kühlschrank. Die Wände waren makellos weiß und komplett kahl, bis auf das allgegenwärtige Guevara-Bild, das etwas größer war als alle, die Max bislang gesehen hatte. Die Klimaanlage war bis zum Anschlag aufgedreht. Eiskalte, geruchlose Luft hüllte sie ein und kühlte ihren Schweiß so schnell herunter, dass sie Gänsehaut bekamen und bibberten.
Savón fing an zu reden. Max tat, als interessiere er sich für das Porträtfoto Guevaras, für seine humorlosen Züge und die grausamen Augen, die in eine blutige Zukunft blickten. Dabei lauschte er dem, was hinter ihm gesprochen wurde. Die Worte blieben ihm wie immer ein Mysterium, aber er verstand die Emotionen, die sie überlagerten, die traurige Wut, die sie hervorbrachte.
Savón ließ einen Monolog ab, der klang, als hätte er ihn im Geiste vorbereitet, überarbeitet und immer wieder einstudiert. Fast war es, als spräche er mit sich selbst. Er gab sich Mühe, im Tonfall höflich und vernünftig zu bleiben, tief unten aber fing der Vulkan aufgestauten Kummers langsam an zu köcheln, und gelegentlich steigerte sich seine Stimme zu einem Schimpfen und Schnauzen, bevor er sich wieder fing. Benny schwieg. Max stellte sich vor, dass er mit hängendem Kopf dastand und die Strafpredigt über sich ergehen ließ – oder zumindest so tat, als ob.
Doch als er schließlich den Mund aufmachte, wenige Takte nachdem Savón seine Rede beendet hatte, klang er vollkommen normal, weder bedrückt noch entschuldigend. Savón hörte ihm zunächst schweigend zu. Dann plötzlich brach er in schallendes Gelächter aus, dessen erste Lachsalven klangen, als würde er schreien.
Max drehte sich um und sah, wie Savón vornübergebeugt dastand, sich den Bauch hielt und sich nicht mehr einkriegte vor Lachen.
Benny schaute zu Max und zwinkerte.
Später aßen sie im ersten Stock zu Abend, in einem weiteren kalten, kahlen Zimmer, dessen Mobiliar aus einem Holztisch, vier Stühlen und einem großen Plasmafernseher an der Wand bestand.
Savón hatte einen Eintopf mit Schweinefleisch und schwarzen Bohnen gekocht, dazu weißen Reis und gebratene Kochbananen. Das Essen war köstlich, die Stimmung schlecht. Sie aßen in vollkommenem Schweigen. Benny und Savón starrten stur auf die Essensberge vor sich, ihr Besteck wirbelte von Teller zu Mund, als wollten sie unbedingt schneller fertig sein als der andere. Max ließ sich Zeit.
Im Fernsehen lief eine Wiederholung des
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