Todesritual: Thriller (German Edition)
Höhepunkt des Entzugs. Zwischen seinen trockenen, überhitzten Atemzügen hörte Max, wie ihm die Zähne klapperten. Seine Wunde war eingefallen wie ein vergiftetes Soufflé, die Haut nach innen gesogen und vom Mund bis zum Ohr von schwärzlich dunkellila Färbung, sodass die Fäden überhaupt nicht mehr auffielen. Max kurbelte das Fenster herunter, um den Gestank hinauszulassen, aber Benny flehte ihn an, es wieder zu schließen, erst weil ihm eiskalt war und dann, weil der Wind so heiß blies, dass er das Gefühl hatte, gekocht zu werden.
»Gehen Sie runter zum Jachthafen und folgen Sie den hübschen Frauen.« So, hatte der Verkäufer von Discos del Loro gesagt, würde er das Lone Star finden. Also fuhr er zum Hafen und hielt nach hübschen Frauen Ausschau.
Er parkte den Firedome vor einer Reihe vernagelter Geschäfte am Ende einer abschüssigen Straße. Ungeachtet seines Zustands wollte Benny ihn unbedingt begleiten, wollte lieber in Bewegung sein, als im Auto zu sitzen. Besser auf den Beinen erwischt werden als auf dem Arsch, sagte er.
Der Jachthafen war von einer langen, breiten Promenade gesäumt, deren Holzbohlen vom Regen dunkelbraun und weich geworden waren. An dem halben Dutzend Stegen, die ins Meer hinausragten, lagen mehrere Segelboote. Deckhelfer schaufelten Wasser aus den Rümpfen und wrangen die Segel aus. An ein paar kleinen Kiosken wurden Küstenfahrten, Tauchunterricht und Angeltouren feilgeboten – überall zum gleichen Preis, der vom Staat gedeckelt und auch vom Staat eingenommen wurde, Wettbewerb nicht vorhanden. Kundschaft gab es keine. Die Verkäufer saßen gelangweilt in ihren Holzkabinen und schauten zum Himmel hinauf, lasen Zeitung oder beobachteten die beiden Boote, die aus der Ferne näher kamen. Straßenfeger beförderten tote Möwen und Fische zurück ins Meer und fegten den Müll zu nassen Haufen zusammen, aus denen sie alsdann die Flaschen und Dosen herausklaubten, die sie in Einkaufstüten sammelten. Aus diversen Lautsprechern schepperten rivalisierende Versionen von »Guantanamera«, und dieses eine Mal lieferten die gedämpfte Melancholie und die Mutlosigkeit des Liedes die perfekte Untermalung zur Szenerie.
Benny hustete und schwankte und hatte die Arme eng um sich geschlungen, als müsse er seinen Körper zusammenhalten. Max musste mehrmals auf ihn warten, weil er zurückgefallen war. Ein paar uniformierte Polizisten standen breitbeinig und steif da, die Hände hinter dem Rücken, als wären sie kurz davor, in Habachtstellung zu gehen, als erwarteten sie hohen Besuch. Sie beachteten weder Max noch Benny. Sie schauten starr aufs Meer hinaus.
Max folgte ihren Blicken. Was er für zwei Boote gehalten hatte, waren in Wirklichkeit vier – Schnellboote, die dicht nebeneinander fuhren, als lieferten sie sich ein Wettrennen. Sie hielten auf einen ungenutzten Steg zu, der ein Stückchen abseits lag und wo es weder Boote noch Verkaufsstände noch Polizisten gab. Nur ein paar Frauen hatten sich dort versammelt.
Alle Anfang zwanzig – vielleicht jünger –, eine hübscher als die andere, aufgeputzt wie für eine Party, dabei war es nicht einmal Mittag. Hohe Schuhe, hautenge Jeans, Miniröcke, enge bauchfreie Tops, Bauchnabelpiercings. Sie redeten und rauchten und fächelten sich mit Zeitschriften Luft zu.
Die Boote legten zu beiden Seiten des Stegs an, die Passagiere stiegen aus. Alles Männer. Sieben Weiße, zwei Schwarze, ein Asiat. Sehr tief hängende Jeans, Khaki-Shorts, Chinos, Baseballkappen, den Schirm nach hinten gedreht, oder Bandanas, Sonnenbrille, Tätowierungen, Turnschuhe, Militärhaarschnitt oder kahl rasierter Kopf. Sie begrüßten einander mit Abklatschen und Faust an Faust. Dann stolzierten sie lachend und Witze reißend auf die Frauen zu. Ihre Stimmen waren laut, ihr Akzent unverwechselbar: Amerikaner. Und wie locker und vergnügungssüchtig sie auch daherkommen mochten, sie alle hatten diesen schwingenden, gemessenen Gang, der »Soldat« schrie.
Max hörte stockende Versuche im Spanischen, die in spanisch gefärbtem, fließendem Englisch beantwortet wurden. Dann ein paar Namen: Rusty, Evander, Bill, Travis. Hände wurden geschüttelt oder geküsst. Mucho gusto, sagten die Mädchen, eine vollführte einen Knicks, ein paar kicherten, alle waren sie verzückt.
Nach diesen Formalitäten spazierten sie zusammen die Promenade entlang.
Max und Benny folgten ihnen.
Die Promenade löste sich nach und nach in Wohlgefallen auf. Zuerst war ziemlich unvermittelt kein
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