Todesritual: Thriller (German Edition)
Geländer mehr da, dann fehlten immer mehr Holzplanken und gaben den Blick auf den schlammigen Sand frei, bis nur noch zwei parallel verlaufende Balken übrig waren, die über den leicht abschüssigen Untergrund mit den losen Steinen liefen. Das Meer trug hier regenbogenfarben schillernde Ölflecken und sah schlammig aus, die Brandung, die an die Küste schlug, war von einem karamellisierten Ocker.
Weiter voraus sahen sie eine lange Betonmole mit Lagerhäusern, einem Gaswerk, gestapelten Containern und ein paar fest installierten Kränen.
Die Gruppe hatte sich inzwischen in mehrere Pärchen aufgelöst, die sich mit sich selbst beschäftigten. Einer der beiden Schwarzen hatte den Anfang gemacht, indem er mit der jungen Frau im blauen Faltenröckchen, das ihr kaum über den Po reichte, und dem Pferdeschwanz, der ihr hüpfend über den ganzen Rücken fiel, zur Seite abgedriftet war. Die anderen folgten seinem Beispiel – einer für alle und alle für einen. Max schaute sich um und stellte fest, dass sich am Steg schon wieder neue Frauen versammelten.
Die Gruppe stieg eine kurze Treppe hinauf, lief ein Stück an der Mole entlang und verschwand dann zwischen zwei Lagerhäusern. Das war das Letzte, was Max und Benny von ihnen zu Gesicht bekamen.
Der schmale Weg verlief zwischen zwei Lagerhäusern und endete an einer hohen Sandsteinmauer, die mit Dornen und Nato-Draht bewehrt war. In der Mitte der Mauer saß eine dicke Tür aus gebürstetem Stahl, die nur von innen geöffnet werden konnte.
Max klopfte.
Fast im gleichen Moment wurde die Schiebeklappe zurückgezogen. In dem offenen Rechteck erschienen zwei braune Augen und eine dunkle, stark gerunzelte Stirn.
»Ja?« Die Stimme war barsch und latino-amerikanisch.
»Kann ich reinkommen?«, fragte Max.
»Einheit?«
»Zivilist.«
»Wie sind Sie hier gelandet?«
»Hab in einer Kneipe davon gehört.«
»In welcher Kneipe?«
»Irgendwo in der Stadt. Den Namen weiß ich nicht mehr. Die sehen doch alle gleich aus«, witzelte Max.
Der Mann lachte. Die Klappe wurde lautstark zugezogen. Max und Benny tauschten einen Blick.
Die Klappe ging wieder auf.
»Ausweis?«, fragte der Mann.
Max zog seinen Pass aus der Tasche, schlug ihn auf und hielt ihn hoch.
Der Mann betrachtete das Foto, dann musterte er Benny.
»Wer ist das?«
»Der gehört zu mir«, sagte Max.
»Sieht krank aus.«
»Es geht ihm schon viel besser.«
Drei Riegel wurden schnell hintereinander zurückgezogen.
Fassungslos und perplex stand Max vor dem, was er hinter der Tür vorfand. Alles, was er dort sah, war ihm vertraut, aber vollkommen fehl am Platz. Benny war wie vom Donner gerührt. Seine fiebrigen Augen blinzelten hektisch, auf seinem offenen Mund erschien ein verstörtes Lächeln, in seinen Mundwinkeln sammelte sich Speichel. Beide waren sie sprachlos, jeder mit seiner eigenen Fassungslosigkeit beschäftigt. Einen Moment lang standen sie beide wie angewurzelt da, weil der Ort, an dem sie hier gelandet waren, so gar nicht dem entsprach, was sie erwartet hatten.
Auf den ersten Blick war es eine typisch kubanische Straße: rechts und links ein- bis zweistöckige Gebäude im spanischen Kolonialstil, dazwischen, vollkommen aus dem Rahmen fallend, ein paar düstere, einfallslose sowjetinspirierte Betonklötze. Die kopfsteingepflasterte Straße war eine Fußgängerzone und voller Menschen, die die Fahrbahn und die weiß geränderten Gehwege bevölkerten.
Im nächsten Moment jedoch kriegte das Bild Risse und klappte in sich zusammen. Ungefähr auf halber Höhe der Straße prangte auf einem hohen grauen Masten das goldene M von McDonald’s. Der blinkende rote Neonpfeil darunter zeigte nach rechts. Ein Stückchen weiter strahlte das fröhlich onkelhafte Gesicht Colonel Sanders’ von einem rotweißen KFC-Schild herab.
Jedes einzelne Geschäft, Restaurant und Café auf dieser Straße war amerikanisch. Im ehemaligen Heim einer gut situierten – inzwischen ins Exil gegangenen – Familie residierte ein Wal-Mart. Der war so überreich ausgestattet, dass sich die Waren auf dem Fußboden stapelten. In einem Gebäude mit dem Charme des Kalten Krieges und verblasster russischer Schrift auf der Fassade florierte eine CVS-Drogerie. Es gab Starbucks, Subway, Johnny Rockets, Chuck E. Cheese’s, Domino’s Pizza und Taco Bell.
Sie mischten sich unter die Menschenmenge, die hauptsächlich aus entspannt umherspazierenden amerikanischen Soldaten auf Freigang bestand, die meisten von ihnen jung und männlich. Die
Weitere Kostenlose Bücher