Todesritual: Thriller (German Edition)
Rosa brannte. Es zeigte sich in seinen Augen, die ganz dackelig süß dreinschauten, und in dem hoffnungsvollen Lächeln, das er einfach nicht unterdrücken konnte, wenn sie mit ihm sprach. Er war ein verliebter Idiot, der wissentlich nach dem aus taktischen Gründen zurückgezogenen Köder schnappte, weil er hoffte, dass vielleicht schon dieser Einsatz ihr Herz zum Schmelzen bringen konnte. Rosa aber war kühl und sachlich. Max vermutete, dass es für sie eine Jugendliebe gewesen war, aus der sie hätte herauswachsen sollen, bevor sie Kinder kriegten und sich aneinander banden.
Das war der Marco, der sie in seinem klapprigen Lada-Jeep abgeholt hatte. Einmal an Bord, war er ein anderer Mensch. Er wurde zu einem nervösen Wrack, stotterte ein wenig und schwitzte stark. Offensichtlich war es das erste Mal, dass er etwas Ungesetzliches tat. Und er hatte keine Möglichkeit, am seichten Ende des Beckens zu üben. Er musste gleich ins tiefe Wasser springen. Rosa fauchte ihn an. Sie war die Entschlossene, wo er unentschieden und unsicher war. Sie benutzte auch ihn. Vielleicht hatte sie ihm sogar eine Versöhnung in Aussicht gestellt. Was auch immer sie gesagt hatte, es funktionierte. Marco wurde wieder zum Mann und startete den Motor.
Max und Cruz gingen hinunter in den Lagerraum: vier graue Wände, durchzogen von rostigen Adern, und Kleiderhaken, an denen blaue Jacken und Mützen hingen. Sie nahmen sich beide eine Jacke und setzten eine Mütze auf. Max betrachtete die Insignien auf dem runden Abzeichen, das auf beide Ärmel genäht war: ein Vogel über dem Meer, einen fliegenden Fisch im Schnabel. Max verstand die Bedeutung – und die freudlose Ironie darin.
»Wenn wir Besuch kriegen, sagen Sie nichts und tun Sie beschäftigt«, hatte Rosa gesagt, als sie sich setzten. Das waren die einzigen Worte gewesen, die sie an ihn gerichtet hatte.
Besuch kriegten sie schon nach zehn Minuten auf See. Ein Hubschrauber kam und richtete seinen Suchscheinwerfer auf das Boot. Max trat vom Bullauge zurück. Oben auf der Brücke knackte das Funkgerät, Marco antwortete in Grunzlauten. Der Hubschrauber schwebte noch einen Moment über ihnen, dann drehte er nach Westen ab und flog davon.
Als Nächstes fuhren sie längsseits einer vor Anker liegenden Fregatte und stoppten mit laufendem Motor. Wieder landete ein kräftiger Scheinwerfer auf dem Boot und strahlte bis in den Lagerraum. Max und Rosa blieben reglos sitzen. Aus dem Funkgerät kamen Knistern und eine Stimme. Marco grunzte. Dann fuhren sie weiter, wenn auch langsamer, in Kriechgeschwindigkeit.
Max schaute zu dem sternenbedeckten Himmel hinauf, der ihm ein wenig näher vorkam als noch vor ein paar Minuten. Er wusste, dass sie sich Haiti näherten. Das war ihm besonders aufgefallen an diesem Land, dass der Abstand zwischen Himmel und Erde dort nur halb so groß schien – wobei das nichts Glorreiches oder Erhebendes an sich hatte. In Haiti hatte man das Gefühl, als drücke der Himmel das Land von oben nieder, als wäre Gottes Reich kurz davor, einem über dem Kopf einzustürzen.
Sie fuhren zwischen zwei kegelförmigen Bojen mit roten Blinklichtern hindurch. Plötzlich heulten Sirenen auf, und aus der Dunkelheit rasten zwei Schnellboote mit grellen Scheinwerfern auf sie zu, über Lautsprecher dröhnte eine Stimme.
Marco stoppte das Boot und schaltete den Motor ab. Auf beiden Seiten kletterten Menschen an Bord, dann waren schwere Schritte zu hören, die sich über ihnen auf und ab bewegten. Jemand stellte Marco Fragen. Er stammelte Antworten.
Rosa wurde panisch. Ihr Blick schoss durch den Lagerraum, sie suchte nach einem Ausgang oder einem Versteck. Max trat vorsichtig an das Bullauge heran. Er konnte die Boote nicht sehen.
Die Schritte stampften über das Deck. Immer mehr Fragen wurden gestellt, Marco stammelte weiter, stockte bei jedem Wort.
Dann hörten sie Schritte auf der Treppe. Zwei Paar Füße. Rosa zog die Waffe, aber Max schüttelte den Kopf. Sie steckte die Waffe wieder weg.
Jemand drückte die Türklinke.
Marco hatte sie eingeschlossen. Eine barsche Stimme rief etwas die Treppen hinauf.
Marco stammelte.
»Rápido!«
Marco versuchte ein »Sí«, aber es klang, als wollte er eine Zeichentrick-Schlange nachahmen.
Wieder Schritte auf der Treppe, das Klingeln eines Schlüsselbunds.
Das war’s.
Rosa wusste es. Sie sagte nichts, aber sie sah panisch aus.
Das Funkgerät knackte. Es wurde beantwortet von der Stimme, die Marco befragt hatte. Rosa lauschte, und ihre
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