Todesritual: Thriller (German Edition)
eine bessere Wohnung, bessere Nahrungsmittelrationen. Das war toll. Und ich mochte auch die Person, die ich beschützen sollte.«
»Vanetta Brown?«
»Richtig«, sagte sie. »Ich kenne keinen Menschen, der mutiger und ehrlicher ist als sie. Wir haben viel geredet. Über Amerika, über Rassenpolitik, über Hautfarbe allgemein. Und über alles Mögliche andere. Sie liebte Seifenopern und furchtbare Liebesromane.«
»Haben Sie auch Joe kennengelernt?«
»Ich bin ihm zweimal begegnet.«
»Was haben Sie von ihm gehalten?«
»Ich kann gut verstehen, warum Vanetta ihm vertraute. Er war ihr sehr ähnlich – und ganz anders als Sie«, fügte sie hinzu.
»Das war er.«
Sie atmete tief durch. Und noch einmal.
»Als Vanetta verschwand, wurde ich degradiert«, sagte sie. »Ich mache das niemandem zum Vorwurf. Ich hatte es verdient. Ich war für sie verantwortlich, und sie ist einfach von der Bildfläche verschwunden.
Ich habe meine Privilegien verloren. Das Haus, das Auto, die Extrarationen. Aber ich habe immer noch Arbeit. Ich fahre die Kinder des libyschen Botschafters zur Schule. Nette Kinder.«
Max hörte die Bitterkeit und den Groll in ihrer Stimme, trotz des gelassenen, resignierten Tonfalls. Er konnte hören, wie sie ihre gebrochenen Gefühle unter den akkuraten Bügelfalten ihrer Professionalität verbarg und zuließ, dass sie sich verzerrten und verdrehten und, noch unbemerkt und im Verborgenen, an Kraft gewannen.
»Vor einer Weile habe ich beschlossen, Vanetta zu finden – oder zumindest in Erfahrung zu bringen, was aus ihr geworden ist. Ich dachte, wenn mir das gelingt, geben sie mir meine Stellung zurück.«
Max schaute sie an. Sie tat, als würde sie den Springern zusehen.
»Das heißt … Sie wollen mir also mitteilen, dass dies hier keine offizielle Mission ist und es auch nie war? Dass Sie hier auf eigene Faust unterwegs sind und der Staat von nichts weiß?«, fragte er. »Und dass es deshalb auch keine Verstärkung gibt?«
»Richtig.«
Max seufzte. »Seid ihr alle so notorische Lügner in diesem Land, oder liegt es an mir?«
»Es tut mir leid.«
Er musste an Wendy Peck denken, und dass sie genau das Gleiche mit ihm gemacht hatte. Kuba war nichts anderes als Miami in einem schmutzigen Rückspiegel betrachtet.
»Genau genommen bedeutet das also, dass ich mich jetzt verdünnisieren könnte, richtig? Ich könnte per Anhalter nach Havanna zurückfahren, meine restlichen Urlaubstage genießen und in die Heimat abdüsen?«
»Ja. Wenn Sie wollen. Ich würde Sie nicht aufhalten«, sagte sie.
Und er spürte, dass sie es ernst meinte. Dass sie ihn loswerden, ihn aus dem Weg haben wollte. Er hatte seinen Zweck erfüllt und war jetzt überflüssig, eine Last.
Das gab ihm zu denken.
»Der allwissende, allmächtige Staat weiß natürlich, dass Vanetta auf dieser Insel ist. Sarah Dascal hätte es denen doch erzählt, genau wie sie es mir erzählt hat.«
»Wie gesagt, es ist kompliziert«, sagte Rosa.
»Ich würde sagen, der Zeitpunkt ist gekommen, mich über all diese Komplikationen aufzuklären, meinen Sie nicht?«
Noch ein tiefer Atemzug, der ihre Lunge ganz auffüllte, dann langsames Ausatmen. Sie musste sich wappnen und sich beruhigen.
»Okay … Wie Sie wissen, war Vanetta wegen ihrer Verbindungen zum Abakuá aus Castros Gunst gefallen. Der Staat ließ sie überwachen.«
»Haben Sie sie ausspioniert?«
» Ausspioniert habe ich sie nicht. Das ist eine völlig andere Abteilung«, sagte sie indigniert. »Wenige Monate vor ihrem Verschwinden wurde sie zusammen mit einem Mann in Santiago de Cuba gesehen. Sie hat sich mehrmals mit ihm getroffen. Die beiden wurden zusammen fotografiert. Man folgte ihm bis zur Militärbasis in Guantánamo. Unsere Informanten dort berichteten, es handle sich um einen FBI-Agenten. Sein Name war Jack Quinones. Kennen Sie ihn?«
»Nicht besonders gut. Erzählen Sie weiter.«
»Wir sind davon ausgegangen, dass sie über ihre Rückkehr in die USA verhandelte. Wir dachten, sie habe vielleicht im Gegenzug für ihre Immunität angeboten, ihre Kenntnisse über die Arbeitsweise unserer Regierung weiterzugeben.«
»Wie gut wusste sie denn Bescheid?«
»Sie war eine enge Freundin Fidels.«
»Warum habt ihr sie nicht verhaftet?«
»Das hatten wir vor. Aber dann ist sie verschwunden.«
»Wenn Sie ›wir‹ sagen, meinen Sie den Staat, richtig? Nicht sich selbst?«, fragte Max.
»Ja, Entschuldigung. Ist eine Angewohnheit«, sagte sie.
»Und als sie verschwand, haben Sie –
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