Todesritual: Thriller (German Edition)
Sphären bewegte. Es zeugte von Geld ohne Ende, besten Kontakten per Kurzwahl, Macht im Überfluss.
Der pflaumenrote Teppich war so dicht und so hochflorig, dass er die Sohlen ihrer Schuhe geräuschlos verschluckte. Das Licht kam von einem birnenförmigen Kronleuchter, der fragil und monströs zugleich aussah, wie die Träne eines Ungeheuers. Die vier Scheinwerfer in den Ecken schickten Lichtsäulen zur Decke, die von unten an den Wänden emporflossen, nach oben hin breiter wurden und dem Raum eine Atmosphäre von Gemütlichkeit und Wärme verliehen. An der Rückwand stand ein eindrucksvoller geschwungener Empfangstisch aus Eichenholz, der dezent und warm schimmerte. An der Wand dahinter prangte ein großes, kreisförmiges Kunstwerk, das von Weitem aussah wie ein abstrakter Wirbel aus weißem Marmor, ein sinnfreier, scharfblättriger Strudel. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass der Wirbel eine zerstiebende Wolke darstellte und dass zwischen den Wolkenfetzen altbekannte Gesichter schwebten: Miniporträts der Superstars des Kommunismus, seiner Ideologen und Praktiker: Marx, Lenin, Trotzki, Stalin, Mao, Hoxha, Tito und, natürlich, Castro. Menschliche Götter am Atheistenhimmel.
Auf der weiten Fläche zwischen Tresen und Eingang standen vereinzelte runde Tische und tiefe, überreich gepolsterte Ledersessel mit breiten Armlehnen und Fußhockern. Es gab eine umfangreiche Bibliothek und einen großen Zeitungsständer mit englischen, amerikanischen, französischen, spanischen und russischen Zeitungen. Max rechnete fast damit, dass gleich ein Butler erscheinen würde, aber weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Es herrschte völlige Stille. Nur ein leichter Geruch nach Desinfektionsmitteln verriet, dass sie sich in einem Krankenhaus befanden. Offensichtlich war dies die Lobby des Patientenflügels, und Max wurde klar, dass dieser Raum das Erste war, was ein Neuankömmling zu Gesicht bekam.
Ganz in der Nähe befand sich, an der rechten Wand, eine Treppe – ein hohes Eichengeländer und breite Steinstufen, in deren Mitte ein Teppichläufer, der von Messingschienen am Platz gehalten wurde. Daneben ein Aufzug mit breiten Messingtüren. Es gab sechs Etagen, vier oben und ein Untergeschoss.
Sie nahmen die Treppe.
An den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Fotos von der Insel und dem Krankenhaus in verschiedenen Stadien der Fertigstellung. Als Erstes eine Luftaufnahme von der Insel in unberührtem Zustand, komplett bewaldet, ein dunkler Torpedo im bleigrauen Ozean. Dann der Beginn der Bauarbeiten. Die Bäume an der Küste wurden mit Trawlern aus der Erde gerissen. Die nächste Luftaufnahme zeigte ungefähr ein Dutzend im Ozean treibende Palmen, manche lagen auf der Seite, andere standen aufrecht im flachen Wasser, als wollten sie zurück an Land stapfen. Dann Fotos von den Arbeitern, allesamt russische Soldaten, beim Bulldozern, Sägen, Brandroden, Mischen und Graben, überwacht von Männern in Zivilkleidung. Das letzte Foto, ganz oben auf der Treppe, zeigte den Rohbau und eine Möwe, die auf einer noch unfertigen Mauer hockte.
Am Ende der Treppe schauten sie einen langen Flur mit nummerierten Türen hinab, der von elektrischen Kerzenleuchtern erhellt wurde, die nach jedem zweiten Zimmer an der Wand angebracht waren. Zur Linken ein verlassenes Büro mit einem roten Kreuz auf der Glastür.
»Wir sollten uns trennen«, flüsterte Rosa. »Ich nehme mir die Zimmer hier und im nächsten Stock vor. Sie die anderen.«
Max ging nach ganz oben. Im Schwesternzimmer saß eine Krankenschwester in weißer Uniform am Schreibtisch und las ein Buch, die nackten Füße hochgelegt. Für Max ein eindeutiges Zeichen, dass auf diesem Stockwerk Patienten untergebracht waren.
Er trat eilig in den Flur, raus aus dem Sichtfeld der Krankenschwester. Auch hier trugen die Türen Nummern, ungerade auf der linken und gerade auf der rechten Seite. Max drückte die erste Klinke herunter. Abgeschlossen. Er versuchte die Tür gegenüber. Ebenfalls abgeschlossen.
Genau wie die nächsten drei Paare.
Die neunte Tür ging auf.
Er schaltete die Taschenlampe ein. Im Bett schlief ein alter Mann, der an einen Herzmonitor angeschlossen war und durch dünne Plastikschläuche in der Nase atmete. Er trug einen Schlafanzug mit Snoopy-Motiven.
Max hörte eine Bewegung im Zimmer und ließ den Lichtstrahl durch den Raum wandern. Auf einem Klappbett lag zusammengerollt ein jüngerer Mann, einen Meter weiter döste ein zweiter Mann in einem
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