Todesritual: Thriller (German Edition)
kann, wird er auf die Straße gesetzt. So ist das in diesem Land. Die Menschen hier interessieren sich nicht für die, die durch die Maschen fallen.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Kuba.«
»Verstehe«, sagte Max. »Und da fällt niemand durch die Maschen?«
»Da hat jeder Anspruch auf medizinische Versorgung.«
»Davon habe ich gehört. Und ich habe auch gehört, dass dort eine brutale Diktatur herrscht. Wahrscheinlich auch der Grund, warum Sie hier sind, richtig?«
Ein fieser, sarkastischer Kommentar, den er auf der Stelle bereute. Unfair und unsensibel noch dazu. Aber für eine Entschuldigung war es zu spät.
»Dies ist ein großartiges Land, Detective«, sagte Schwester García. »Sie wissen nur nicht, wie Sie es noch besser machen können.«
Als Max aus dem Krankenhaus trat, rief er Joe an.
Viel erzählen konnte er nicht, weil Liston ihm das Wort abschnitt.
»Du kannst aufhören, Max.«
»Wie meinst du das?«
»Es gab da einen Durchbruch – wenn man es so nennen will.« Joe klang besorgt.
»Die haben den Mörder?«
»Nicht ganz, aber sie glauben zu wissen, wer es war.«
»Wer?«
»Lass uns uns heute Abend treffen. Zur üblichen Zeit am üblichen Ort«, sagte Joe. »Dann erzähl ich dir alles.«
6
Der übliche Ort war das Mariposa auf der Lincoln Road, ein kubanisches Restaurant, das von den gleichen Besitzern betrieben wurde wie das berühmte Versailles auf der Calle Ocho in Little Havana. Die Speisekarte war identisch und das Essen genauso gut, aber weil das Mariposa mitten im Einkaufsviertel von South Beach lag, war es fünfmal so teuer. Trotzdem kamen die Gäste. Heute war noch mehr los als üblich. Halloween und ein Freitag – Max und Joe hatten den letzten freien Tisch bekommen.
»Ich kann dir einiges erzählen, aber vieles auch nicht«, sagte Joe, nachdem die Kellnerin ihnen die Speisekarte gebracht hatte.
Liston hatte sich vorgebeugt und sprach im Flüsterton. Max sah ihm an, dass er einen langen und schwierigen Tag hinter sich hatte. Da waren die extragroßen Säcke unter den Augen, das Blumenkohlmuster auf der gerunzelten Stirn und die Besorgnis, die seinen sonst so ruhigen Blick rastlos machte.
»Weißt du, mit welcher Waffe der Mörder geschossen hat?«, fragte Joe. »Mit der von Abe Watson. Wir haben die Ballistik in der Akte. Sie deckt sich mit der von Abes Fünfundvierziger.«
»Wie sollen die denn an die Waffe gekommen sein?«
»Abe ist mit seinem Colt begraben worden, Herrgott. Ein 1911er Colt. Sein Grab ist wenige Wochen vor Eldons Tod geschändet worden. Du weißt ja, dass er mit dieser Waffe Geschichte geschrieben hat. Er war der erste Polizist in Miami, der eine Automatik besaß. Alle anderen hatten damals noch Achtunddreißiger. Pusterohre. Sogar Eldon.«
»Wer wusste, dass er mit der Waffe begraben wurde? Außer Verwandten und Freunden?«
»Die Leute vom Bestattungsinstitut. Sie stehen schon auf der Verhörliste.«
»Also hat das Ganze auch mit Abe Watson zu tun.« Max fing an, die Hinweise zu bündeln. »Eldon wurde mit seiner Waffe erschossen. Sie waren Partner und Freunde. Der Schütze hat die Waffe ausgegraben. Was gräbt man sonst noch aus? Sachen, die einer verbuddelt hat, die er verstecken wollte. Die Vergangenheit. Es könnte einen Zusammenhang geben mit irgendwas, das Eldon und Abe getan haben, als sie noch Polizisten waren. Und Eldon wurden zwei Kugeln in die Augen gejagt. Was sagt uns das? Hat er etwas – oder jemanden – gesehen, den er nicht hätte sehen sollen? Oder etwas, das wir – oder du – nicht sehen?«
»Eldon wurde mit Black Talons getötet«, sagte Joe. »›Das Geschoss für den schnellen Tod‹, wie es so schön hieß. Die Munition für den Polizistenmörder, weil sie auch kugelsichere Westen durchschlägt – das war zumindest der Plan.«
»Wurde die Produktion nicht schon vor zehn, fünfzehn Jahren eingestellt?«
»Für den öffentlichen Verkauf, ja. Polizei und Militär haben sie eine Zeit lang benutzt. Dann hat Winchester das Geschoss überarbeitet und als Ranger SXT neu rausgebracht. Die neuen sind nicht mehr schwarz, weil sie nicht mehr mit Lubalox beschichtet sind. Aber die, mit denen Eldon erschossen wurde, das sind noch die originalen von damals.«
»Kann man die Serie zurückverfolgen?«
»Wir arbeiten dran«, sagte Joe. »Keine leichte Aufgabe. Waffen und Munition, die hier vom Markt genommen wurden, landen häufig durch irgendwelche Hintertüren in Drittwelt-Ländern. Ich sage mal unter uns, der Mörder könnte
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