Todesritual: Thriller (German Edition)
vor einem Fernseher. Im Erdgeschoss herrschte ein Heidenlärm: In zwei nebeneinanderliegenden Zimmern probten Bands, ein Salsa-Ensemble, dessen Mitglieder teilweise auf dem Flur stehen mussten, und eine jugendliche Rockband, die »Smoke on the Water« auf Spanisch einstudierte. Im Zimmer nebenan schraubten ein Mann und eine Frau an einem Automotor herum, während sich drei lärmende Kinder auf dem Fußboden ein Spielzeugauto zuschoben.
Im Gehen erzählte Gwenver von der Geschichte der Gruppe.
»Wir haben um 1973 oder 74 angefangen, so eine Art Selbsthilfegruppe. Wir haben uns umeinander gekümmert. Der eine hat dem anderen erklärt, wie es hier läuft, wir haben uns gegenseitig Spanisch beigebracht und über den Scheiß zu Hause geredet. Aber da waren nur militante Schwarze zugelassen, sonst keiner. Die normalen kriminellen Elemente hatten bei uns keine Chance, klar? Castro hat ja alles mögliche Gesocks ins Land gelassen, jeden, der in ein Flugzeug steigen und gleichzeitig ein paar Sätze Marx zitieren konnte. Und er hatte eine Schwäche für Hochstapler und Betrüger. Diebe in Nadelstreifen. Mittlerweile ist von unserer Gruppe nicht mehr viel übrig. Ein paar sind tot, ein paar so gut wie, und ein paar kommen einfach nicht mehr.«
Im Versammlungsraum stellte er Max der Runde als Schriftsteller vor.
Max wurde mit Achselzucken, Grummeln und reichlich Misstrauen in Empfang genommen. Er kannte die Namen aller Anwesenden und hatte sich ihre Verbrechen und den Tag ihrer Flucht eingeprägt. Mit keinem von ihnen hatte er am Vorabend gesprochen, weil keiner von ihnen im Telefonbuch stand. Trotzdem spürte er, dass sich die Kunde verbreitet hatte, dass sie schon von ihm wussten und dass ihnen nicht gefiel, was sie sahen. Vielleicht rochen sie den Polizisten in ihm. Vielleicht lag es daran, dass sein weißes Gesicht nicht zu seinem schwarzen Namen passte. Oder vielleicht war es viel simpler: das Misstrauen der eingeschworenen Gemeinschaft gegen den Außenseiter.
Nur zwei Leute stellte Gwenver ihm nicht vor, und das waren die beiden Männer mit den unbewegten Mienen, die breitbeinig und mit verschränkten Armen an der Tür standen: dicke, muskelbepackte Unterarme, den aufgepumpten Rausschmeißerkörper in volles Panther-Ornat gezwängt. Einschüchtern konnten die Max nicht. Wenn es zum Kampf kam, war von Bodybuildern nicht viel zu erwarten. Entschieden zu unbeweglich. Zu schweres Fleisch auf den Knochen. Ein leichter Treffer aufs Kinn, und sie gingen ohnmächtig zu Boden.
Bis auf den runden, unbehandelten Holztisch, die Stühle und den staubigen Ventilator, der nicht funktionierte, war der Raum kahl: schmutzige Holzdielen, die teilweise lose und verzogen waren, abblätternde Farbe an den Wänden, wo die alten Farbschichten durchschimmerten: weiß, blau, grün und vermutlich gelb.
Der neueste Gegenstand im Zimmer war ein Schwarz-Weiß-Foto von Che Guevara – jener zur Ikone gewordene Schnappschuss von Alberto Korda, der auch als riesengroßes Bildnis über der Plaza de la Revolución prangte: Che mit dem Stern auf dem Barett und spärlichem Bartwuchs, den windumtosten Blick in die Ferne gerichtet, den Ansatz eines Lächelns auf den etwas affenartigen Zügen. Genau dieses Bildnis gab es auch auf T-Shirts und Postkarten, Postern, Buttons und Bandanas, Siegelringen, Kaffeetassen, Decken und Kissenbezügen in jedem Souvenirladen und an jeder Straßenecke zu kaufen. Die Rebellion in konvertible Pesos umgesetzt. Noch dazu hing dieses Bild in jedem Haus auf Kuba. Sozusagen ein obligatorisches Deko-Element. Genau wie es in den Sechzigern und Siebzigern auch für radikale Jugendliche im Westen ein Muss gewesen war, nur dass die sich das immer noch selbst ausgesucht hatten. In Kuba nirgendwo einen Che hängen zu haben, bedeutete, dass man die Grundprinzipien des Staates nicht teilte, dass man gegen die Revolution war, auf der der Staat gründete. Che war ein Kinderlied, das jeder schon in der Krippe lernte. Seine Lebensgeschichte wurde in der Schule unterrichtet und auf der Universität analysiert. Gott wurde in Kuba nicht offiziell verehrt, dafür aber Che. Der echte Che drehte sich vermutlich im Grabe um.
Max wurde ein Stuhl neben dem offenen Fenster angeboten. Von draußen hörte er Verkehrslärm, das Getrappel von Pferdehufen und Kinderstimmen, die die der Erwachsenen übertönten.
Die Versammlung wurde eröffnet. Alle erhoben sich und reckten die geballte Faust in die Luft.
» Say it loud!«, brüllte Gwenver.
»I’m
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