Todesritual: Thriller (German Edition)
gearbeitet, gegen Vanetta Brown, für das System, das sie bekämpfte. Der Joe Liston, den er gekannt hatte – oder den er zu kennen geglaubt hatte –, wäre niemals gesetzeswidrig nach Kuba gereist, um eine Polizistenmörderin zu treffen, höchstens um sie mitzunehmen und auszuliefern. Er hätte sich nie mit Kriminellen zusammengetan, geschweige denn mit ihnen Freundschaft geschlossen und dabei seine Karriere und den Lebensunterhalt seiner Familie aufs Spiel gesetzt. Joe hatte immer getan, woran er glaubte, und er hatte starke moralische Überzeugungen besessen. In dem Punkt wäre er nie zu Kompromissen bereit gewesen. Vanetta Brown hatte immer ihre Unschuld beteuert. Und Quinones hatte ihm erzählt, dass Joe vor der Razzia bei den Schwarzen Jakobinern nie irgendwelche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten entdeckt hatte. Vielleicht hatte sie die Wahrheit gesagt, und nur Joe, Quinones und ein paar FBI-Leute wussten das. Vielleicht hatte Joe ihr helfen wollen, ihren Namen reinzuwaschen.
Das war zumindest eine Erklärung – allerdings nur, wenn Vanetta Brown Joe nicht hatte umbringen lassen. Zwar neigte Max – sehr stark sogar – dazu zu glauben, dass man ihr die Morde in Miami nur angehängt hatte, aber sicher konnte er sich nicht sein. Das Foto zeigte die beiden als Freunde – vielleicht als Liebhaber –, aber es war ein altes Foto, und alles Zwischenmenschliche veränderte sich. Man konnte keinen schlimmeren Feind haben als einen ehemaligen Freund, und eine ehemalige Geliebte konnte zum Fluch werden. Hatte Joe sie enttäuscht – mit oder ohne Absicht? Hatte er ihr das Herz gebrochen?
Max suchte nach einem verbindenden Motiv für die beiden Morde, aber vielleicht gab es das gar nicht. Vielleicht hatte Vanetta, indem sie zwei Menschen ermorden ließ, die in der gleichen Stadt lebten, zwei ganz unterschiedliche Rechnungen beglichen.
Und was genau trieb Vanetta Brown hier in Kuba? Wie kompliziert waren ihre Allianzen?
Er würde es herausfinden, irgendwie. Er musste es herausfinden. Er steckte hier fest und würde mit leeren Händen nicht nach Hause zurückkehren können.
Er dachte über Wendy Peck und Rosa Cruz nach, die beide hinter der gleichen Person her waren. Keine von beiden schien es für denkbar zu halten, dass er sie womöglich nicht finden würde. Vielleicht wussten die beiden, dass sie in Kuba war. Nur wo, wussten sie nicht.
Wendy Pecks Motivation kannte er, die von Cruz nicht. Wahrscheinlich gehörte sie der Geheimpolizei an, aber dass der Auftrag, den sie ihm erteilt hatte, vom Staat abgesegnet war, glaubte er kaum. Warum sonst durfte er sie nicht über Festnetz anrufen, und warum hatte sie ihm ein Telefon gegeben? Bis vor Kurzem waren Mobiltelefone in Kuba noch verboten gewesen. Sie waren teuer. Rosa betrieb einigen Aufwand, um sicherzustellen, dass die Angelegenheit zwischen ihnen beiden blieb.
Von draußen war Musik zu hören – primitive Trommeln, ein jaulendes Saxophon und eine energisch gespielte Akustikgitarre –, gefolgt von Jubel und Applaus und reichlich Planschen im Pool. Max stand auf, streckte sich, dehnte den Nacken und schaute aus dem Fenster. Draußen fand anscheinend ein Synchronschwimmen statt. Ein Dutzend spindeldürrer Frauen in weißen Kostümen mit Gummirosenknospen auf der Gummibadekappe reckten beim Schwimmen das rechte Bein in die Luft. Sie bildeten einen perfekten Kreis, schwammen ein paar Mal in die Runde und teilten sich dann in zwei, dann drei, dann vier kleinere Kreise, die sich im Takt um die eigenen Achse drehten.
Max wandte sich wieder dem Zimmer zu und schaute sich um: die verblichene graue Wandfarbe, die beiden schmalen Betten mit den kratzigen Laken, die antiken Möbel mit dem Geruch nach alter Bratensoße, der tief in den Holzfasern saß, die Stühle mit den fleckigen Kissen, das Amateurgemälde von der Sonnenblume in der Vase. Genau wie das Hotel klammerte auch dieses Zimmer sich mit schwachen, schmuddeligen Fingern an die einstige Pracht.
Ihm fiel ein, wie Rosa Cruz ihm erzählt hatte, dass alle amerikanischen Touristen observiert wurden, und er fragte sich, wo die Wanze wohl versteckt war. Als Polizist hatte er selbst ein paar gelegt, unförmige, handtellergroße Funksender mit winziger Antenne, Klebestreifen und Miniaturschalter, die damals in den Siebzigern das Nonplusultra der Schnüffler-Technik gewesen waren. Heutzutage war die Ausrüstung viel kleiner und sehr viel ausgeklügelter, aber Max war sich sicher, dass die Grundprinzipien des heimlichen
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